Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
mit der neue genetische Mutationen aufkamen, bis vor etwa 50.000 Jahren relativ niedrig und stabil war und vor etwa 10.000 Jahren, also zu Beginn der neolithischen Revolution, einen Spitzenwert erreichte. Gleichzeitig beschleunigte sich auch das menschliche Bevölkerungswachstum. Folglich gab es mehr genetische Mutationen, und zugleich wurden, allein weil mehr Menschen beteiligt waren, auch in der Kultur mehr Innovationen hervorgebracht.[ 50 ]
Als Genetiker die Genome von modernen Schimpansen mit denen von Menschen verglichen, folgerten sie, dass etwa zehn Prozent der Veränderungen an Aminosäuren seit der Trennung der beiden Arten aus dem gemeinsamen Vorrat von vor sechs Millionen Jahren als adaptiv zu bewerten sind – sie folgten also der natürlichen Selektion, die ihr Überleben durch die Generationen begünstigt hatte. Mehrere andere Studien bestätigten, dass während der Auswanderung und der Ausbreitung des Menschen die Evolution noch fortschritt. Insgesamt nahm die Körpergröße leicht ab, Gehirn und Zähne wurden proportional kleiner. Zur Evolution anderer Merkmale kam es erst in den entfernteren Populationen Europas und Asiens, später auch in Nord- und Südamerika. Dieses Muster entspricht auch vollständig der Erwartung. Innerhalb und zwischen den Populationen standen immer reichlichere Varianten zur Verfügung, an denen die natürliche Selektion angreifen konnte. Unterschiede ergaben sich auch daraus, dass bei der Ausbreitung der Populationen die Auswahl der Individuen und damit ihrer Gene auf dem Zufall beruhte, so dass die sogenannte Gendrift von der Adaption unabhängig wurde. (Um sich die zufallsbedingte Gendrift vorzustellen, stellen wir uns einen Münzwurf vor; zeigt die Münze auf Kopf, wird sie verdoppelt, zeigt sie auf Zahl, wird sie verworfen. Ob ein mutiertes Gen erhalten bleibt, entscheidet sich in der Regel in diesem Prozess, es sei denn, es erweist sich für die Trägerorganismen als dezidiert günstig oder ungünstig; in diesem Fall würde die natürliche Selektion greifen.) Die wahrscheinlichste Ursache für solche Gendrift war der erwähnte Gründungseffekt: Brach eine erste Gruppe bei ihrer Migration in eine bestimmte Richtung auf, und eine zweite Gruppe blieb vor Ort oder ging in eine andere Richtung, so nahm jede Gruppe ihren eigenen kollektiven Genpool mit, also jede nur einen Teil aller in der Mutterpopulation vorkommenden Gene. Hautfarbe, Körpergröße, Blutgruppenverteilungen und andere, nicht überlebenswichtige vererbbare Merkmale verteilten sich demnach über kurze Distanzen von wenigen hundert Kilometern in verschiedene Richtungen.
Mutationen sind zufällige Veränderungen an der DNA. Sie können in einer einfachen Vertauschung eines einzelnen Buchstabens bestehen (das heißt in einem Basenpaar von AT zu GC oder umgekehrt), in der Vervielfachung eines bestehenden Buchstabens (zum Beispiel von AT zu ATATAT) oder in einer Verschiebung von Buchstaben an andere Stellen auf demselben oder einem anderen Chromosom. Jedes Gen ist aus Tausenden solcher Buchstaben zusammengesetzt. Doch auch diese Anzahl ist höchst variabel. So enthält etwa das menschliche Chromosom 19 pro Million Basenpaare 23 Gene (jedes Gen ist also etwa 43.000 Basenpaare lang), das Chromosom 13 aber pro Million Basenpaare nur 5 Gene (jedes Gen ist hier im Schnitt 200.000 Basenpaare lang).
Als es nach der Auswanderung aus Afrika unweigerlich zu einer Vielzahl neuer Mutationen kam, weil die Populationsgrößen insgesamt sehr stark zunahmen, durchlief der Mensch zwei Phasen der Evolution. In der ersten blieben alle Mutationen im Vergleich zur Bevölkerungsstärke sehr selten; egal unter welchen Bedingungen, erfolgen Mutationen normalerweise in weniger als 1:10.000 oder gar nur in einem von Milliarden Fällen. Bei so niedrigen Mutationsraten verschwinden die meisten Veränderungen von selbst, entweder, weil sie die Fitness ihrer Träger reduzieren, oder einfach durch Zufall (Gendrift) oder durch eine Kombination von beidem. Erreicht dagegen das neue mutierte Gen eine Frequenz von etwa 30 Prozent, so wird es sich wahrscheinlich immer weiter ausbreiten können. Irgendwann in der zweiten Phase der Evolution kann dann die mutierte Genvariante (das mutierte Allel) die konkurrierende ältere Form desselben Gens (älteres Allel) vollständig verdrängen. Möglich ist auch, dass die Kombination beider Allele in derselben Person (die dann für dieses Gen heterozygot ist) sich als günstiger erweist als der Normalfall
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