Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
entwickelten auch eine Methode, die Schritte einer klassischen Fertigungstechnik umzukehren, also ausgehend von kleinen Gegenständen größere zusammenzusetzen. Auf diese Weise wurde das Weben erfunden, zugleich wurden zunehmend komplizierte und geräumige Behausungen errichtet.
– Eine entscheidende Veränderung – die sich nicht nur für den Menschen, sondern für alle Lebewesen als Wendepunkt erweisen sollte – war die neue Wahrnehmung der Umwelt, die die frischgebackenen Ackerbauern und Dorfbewohner entwickelten. Natürliche Lebensräume waren keine Wildnis mehr, in der man Nahrung jagte und sammelte und die man gelegentlich mit Bodenfeuern niederbrannte. Vielmehr wurden diese Lebensräume Land, das für die Landwirtschaft gerodet wurde. Diese spezielle Wahrnehmung, dass Wildnis etwas ist, was durch etwas anderes ersetzbar ist, ist bis heute bei einem Großteil der Weltbevölkerung fest verankert.
Die Wurzeln der Landwirtschaft reichen um mindestens 45.000 Jahre zurück bis in die Zeit der Auswanderung aus Afrika oder kurz danach, als zur Hatz und zum Fangen von Wild Feuer eingesetzt wurde. Damals müssen wenigstens einige der menschlichen Verbände festgestellt haben (und australische Aborigines praktizieren es so bis heute), dass auf Bodenfeuer in Savannen und Trockenwäldern ein verstärktes Wachstum frischer, essbarer Vegetation folgt. Auch nahrhafte Knollen lassen sich so eine Zeitlang leichter auffinden und ausgraben. Genaue Untersuchungen ursprünglicher mexikanischer Pflanzen haben ergeben, dass der nächste Schritt durch die Einrichtung langfristiger menschlicher Siedlungen möglich wurde. Die Bewohner Mexikos und anderer Regionen in Mittelamerika fingen an, fruchtbare Bäume und andere Pflanzen wie Agaven, Opuntien, Flaschenkürbisse und den Hülsenfrüchtler Leucaena zu kultivieren, indem sie sie einfach unter Ausschluss anderer Pflanzen rund um ihre Behausungen wachsen ließen. (Interessanterweise tun einige Ameisenarten dasselbe.) Auch der nächste Schritt war ein Glücksfall. Einige dieser frühesten Gartenspezies kreuzten sich zufällig mit anderen, ähnlichen Arten, oder aber sie vermehrten ihre Chromosomenzahl oder vollzogen sogar beide Veränderungen gleichzeitig und brachten jedenfalls neue Stämme hervor, die als Nahrung noch wertvoller waren. Einmal probiert, wurden sie gegenüber anderen Arten selektiert. Damit begann die Domestizierung durch künstliche Selektion und die Praxis der Pflanzenzüchtung.[ 57 ] Etwa zeitgleich oder sogar schon früher wurde die Domestizierung bei Tieren praktiziert, die in der Wildnis gefangen und in Haustiere und Nutzvieh umgewandelt wurden. Vor 9000 bis 4000 Jahren verstärkte sich diese Tendenz in mindestens acht Hauptzentren in der Alten und der Neuen Welt und schloss viele neue Pflanzen- und Tierstämme ein. Landwirtschaft wurde damit zur wichtigsten Tätigkeit des Menschen.
Die letzten zehntausend Jahre waren sowohl für den Homo sapiens als auch für den Rest der Biosphäre eine Zeit außerordentlicher Veränderungen. Die kulturelle Evolution beschleunigt sich noch immer, und das wirft eine grundsätzliche Frage auf: Geht auch unsere genetische Evolution noch weiter? Die medizinische Forschung sowie eine vertiefte Analyse der drei Milliarden Nucleotidbuchstaben des menschlichen Genoms haben ergeben, dass an menschlichen Populationen tatsächlich immer noch Evolution stattfindet.[ 58 ] Da bei der Humangenetik der Schwerpunkt auf dem medizinischen Aspekt liegt, sind die meisten Gene, die bis heute als Angreifpunkte der natürlichen Selektion identifiziert wurden, solche, die Resistenz gegen Krankheit garantieren. Immer länger wird die Liste der Mutationen, die in den letzten Jahrtausenden aufgekommen sind und sich verbreitet haben: CGPD, CD406 und das Sichelzellengen, die alle zu einem gewissen Grad vor Malaria schützen; CCR5 gegen Pocken; AGT und AY3PA gegen Bluthochdruck; und ADH gegen Aldehyd-empfindliche Parasiten. Es gibt auch neuere genetische Mutationen, die physiologische Merkmale betreffen, darunter der klassische Fall des Gens für die Laktase-Persistenz im Erwachsenenalter, das den Verzehr von Milch und Milchprodukten erlaubt. Die Hochland-Tibeter, die mit einem niedrigen Sauerstoffgehalt der Luft zurechtkommen müssen, entwickelten das Gen EPAS1, das für eine gesteigerte Hämoglobinproduktion sorgt, so dass sie auch in großen Höhen leistungsfähig bleiben. Aus allem, was wir von den Grundprozessen der Evolution wissen, lässt sich
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