Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
Vom Netzwerk:
Stammesfürstentum und Hierarchien unter Stammesfürsten ein und gründeten schließlich Staaten und Reiche. Die kulturelle Evolution dieser Zeit war (mit einem aus der Chemie entliehenen Begriff) eigenkatalytisch: Jeder Fortschritt machte weitere Fortschritte wahrscheinlicher. In den frühen Jahrhunderten der historisch belegten Geschichte breiteten sich Erfindungen in allen Richtungen schnell über die Kontinente aus, und das in der Alten und der Neuen Welt. Den Höhepunkt, der die Welt verändern sollte, entwickelte dieser Prozess freilich im Kernland des eurasischen Superkontinents.
    Drei Hypothesen haben Anthropologen zur Erklärung dieser kreativen Kulturexplosion aufgestellt. Nach der ersten kam es in der afrikanischen Population des Homo sapiens zu einer bedeutenden, stark verändernden Genmutation in der Zeit der Auswanderung Richtung Eurasien. Untermauert wird diese Annahme dadurch, dass unsere Schwesterart Homo neanderthalensis bis zu ihrem Aussterben vor nur 30.000 Jahren insgesamt 100.000 Jahre lang in Europa und im östlichen Mittelmeerraum lebte, ohne dass es zu wesentlichen Fortschritten in ihrer primitiven Steinwerkzeugtechnik gekommen wäre. Die Neandertaler schufen weder bildende Kunst noch schmückten sie ihre Körper. Erstaunlicherweise hatten sie aber trotz dieser statischen Geschichte ein größeres Gehirn als der Homo sapiens , und dazu kam noch die Herausforderung einer weitläufigen, beständig veränderlichen Umwelt. Nach ihrer Anatomie und ihrer DNA zu urteilen, konnten sie vermutlich sprechen und besaßen in diesem Fall höchstwahrscheinlich komplexe Sprachen. Sie pflegten ihre Verletzten, egal welchen Alters; wahrscheinlich war das für das Überleben des Clans notwendig, weil bei der Großwildjagd fast jeder Erwachsene einmal Knochenbrüche erlitten haben dürfte. In der Kultur der Neandertaler aber bewegte sich über Tausende von Jahren kaum etwas – im Gegensatz zu einer ungeheuer bedeutenden Bewegung beim Homo sapiens aus Afrika.
    Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass alles auf eine einzige revolutionäre Mutation zurückzuführen ist. Realistischer ist die Annahme, dass die kreative Explosion kein isoliertes genetisches Ereignis war, sondern Höhepunkt eines allmählich fortschreitenden Prozesses, der bei den archaischen Formen des Homo sapiens bereits vor 160.000 Jahren eingesetzt hatte. Gestützt wurde diese Annahme kürzlich durch die Entdeckung, dass vor so langer Zeit bereits Pigmente genutzt wurden. Zugleich wurden Körperschmuck und abstrakte Kratzmuster auf Knochen gefunden; die verwendete Ockerfarbe ist zwischen 70.000 und 100.000 Jahre alt.
    Der dritten Hypothese zufolge stieg und fiel die kulturelle Innovation und deren Rezeption mit den gleichzeitigen starken Klimaschwankungen, die sich auf Größe und Wachstum der menschlichen Populationen auf fatale Weise auswirkten. Einige Innovationen verschwanden, um später erneut aufzukommen, während andere dadurch gerade erfolgreich wurden und bis in die Zeit der Auswanderung erhalten blieben. Gestützt wird diese Ansicht durch die frühesten archäologischen Funde; sie legen nahe, dass afrikanische Artefakte wie Muschelperlen, Knochenwerkzeuge, abstrakte Gravuren und steinerne Speerspitzen mit einer verbesserten Formgebung während einer langen und besonders harten Klimaverschlechterung vor 70.000 bis 60.000 Jahren offenbar weiträumig wieder untergingen. Nach dieser Unterbrechung aber tauchten sie vor etwa 60.000 Jahren wieder auf, also etwa zur Zeit der Auswanderung. Man nimmt an, dass während der Klimaverschlechterung die Populationen stark abnahmen und stärker verstreut waren, so dass die soziale Vernetzung lückenhaft wurde und einige kulturelle Praktiken verloren gingen. Als sich das Klima besserte und die Populationen wieder wuchsen und sich ausbreiteten, kam es zu einer zweiten Welle von Innovationen – und das gerade rechtzeitig, um sie bei der von Afrika ausgehenden Besiedelung der Welt mitzuführen. Wie in der modernen Kultur (wenn auch aus anderen Gründen) war der Grad der Innovation starken Schwankungen unterworfen, und nur wenige davon setzten sich durch und breiteten sich aus.[ 49 ]
    Im Grunde schließen sich die drei genannten Hypothesen gar nicht gegenseitig aus, sondern lassen sich zu einem gemeinsamen Szenario zusammenfügen. Genetische Evolution fand mit Sicherheit in der gesamten Zeitspanne von der Auswanderung aus Afrika bis zur Besiedelung der Alten Welt statt. Eine Studie ergab, dass die Rate,

Weitere Kostenlose Bücher