Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
rechtfertigen.
Die Populationen des Homo sapiens , die sich von Afrika aus in den Nahen Osten und darüber hinaus ausbreiteten, legten Strecken zurück, die noch heute als Weltreisen gelten. Generation um Generation kämpften sich die Banden zu Fuß vorsichtig in die seltsamen Gebiete vor, die vor ihnen lagen. Dabei folgten sie offenbar einem Muster, nach dem sie sich ein paar Dutzend Kilometer weiterbewegten, sich niederließen, sich vermehrten und dann in zwei oder mehr Verbände aufteilten, die wieder in neue Gebiete vorrücken konnten. Offenbar zogen die ersten Invasoren durch das Niltal nordwärts in den östlichen Mittelmeerraum und verbreiteten sich dann nord- und ostwärts. Es ist recht wahrscheinlich, dass die ersten Pioniere dieser Wanderungen nur einem oder zwei Verbänden entstammten. Innerhalb weniger tausend Jahre vermehrten sich ihre Nachkommen zu einem Netz locker verbundener Stämme, die sich im Grunde über den gesamten eurasischen Kontinent verteilten.
Dieses Szenario, nach dem anfangs sehr wenige Individuen langsam vordrangen und ihre Population erst vor Ort weiter anwuchs, wird von zwei Argumentationssträngen gestützt, die voneinander unabhängige Forschungsteams in den vergangenen zehn Jahren erarbeitet haben. Einerseits ist da die große genetische Vielfalt heutiger Südafrikaner, die nahelegt, dass nur ein kleiner Teil der afrikanischen Gesamtbevölkerung an der Auswanderung teilnahm. Zweitens legen Analysen und mathematische Modelle über den Gesamtumfang genetischer Abweichungen zwischen heutigen Humanpopulationen nahe, dass die Pioniere einen «serial founder effect» (seriellen Gründungseffekt) bewirkten:[ 43 ] Wenige Individuen, die aus einer älteren, gut etablierten Population auswanderten, wurden selbst Ausgangspunkt für die nächstfolgende Emigration. Am Ende strahlten viele solcher Vorkämpfer in viele Richtungen aus, und die menschliche Population wuchs zusammen.
Wissenschaftler haben Daten aus Geologie, Genetik und Paläontologie kombiniert, um eine genauere Vorstellung davon zu geben, wie dieses «Out-of-Africa»-Muster begann. In einem Zeitraum, der 135.000 bis 90.000 Jahre zurückliegt, beutelte eine extreme Trockenperiode das tropische Afrika sehr viel stärker als je in zigtausend Jahren zuvor. Das führte zu einem erzwungenen Rückzug der frühen Menschheit auf ein sehr viel kleineres Siedlungsgebiet und zu gefährlich niedrigen Bevölkerungszahlen. Hungertod und Tod infolge von Stammeskonflikten (in historischer Zeit ganz üblich) muss schon prähistorisch weit verbreitet gewesen sein. Die Gesamtpopulation des Homo sapiens auf dem afrikanischen Kontinent sank auf vierstellige Werte, und eine Zeitlang drohte der Art des künftigen Eroberers das vollständige Aussterben.
Dann endlich ließ die große Trockenperiode nach, und vor 90.000 bis 70.000 Jahren eroberten Regenwälder und Savanne allmählich ihre vorigen Lebensräume zurück. Die Humanpopulationen wuchsen und breiteten sich mit ihnen aus. Gleichzeitig wurden andere Teile des Kontinents trockener, ebenso der Nahe Osten. Als im Großteil Afrikas mittlere Niederschlagsmengen vorherrschten, öffnete sich ein besonders günstiges Gelegenheitsfenster für eine demografische Expansion von Pionierpopulationen ganz aus dem Kontinent heraus. Insbesondere war die Zeitspanne lang genug, damit nilabwärts zum Sinai und darüber hinaus ein Korridor zusammenhängenden bewohnbaren Landes erhalten blieb, der das trockene Land durchschnitt und es den kolonisierenden Menschen erlaubte, nordwärts zu ziehen. Eine zweite mögliche Route führte ostwärts, über den Bab-al-Mandab auf die südliche Arabische Halbinsel.[ 44 ]
Es folgte das Vordringen des Homo sapiens nach Europa vor höchstens 42.000 Jahren. Anatomisch moderne Menschen verbreiteten sich entlang der Donau und betraten damit das Kernsiedlungsgebiet ihrer menschlichen Schwesterart, der Neandertaler (Homo neanderthalensis) . Dessen Populationen hatten sich schon sehr viel früher aus archaischen humanen Urformen entwickelt. Obwohl sie dem Homo sapiens genetisch nahe waren, bildeten sie eine eigene biologische Art; zu Paarungen kam es im Fall von Kontakten nur selten. Vielleicht lag es daran, dass die Neandertaler mehr auf Großwild spezialisiert waren – jedenfalls waren sie nur schlecht ausgerüstet, um gegen geschickte Krieger zu konkurrieren, die sich nicht nur von Großwild ernährten, sondern außerdem von einer größeren Vielfalt anderer Tier- und
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