Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
Trennung von Mensch und Schimpanse vor über sechs Millionen Jahren. Da sie auf kognitiver und emotionaler Ebene arbeiten, haben sie sich äußerst tiefgreifend auf die Evolution von Sprache und Kultur ausgewirkt. Ihnen verdankt sich ein Gutteil dessen, was wir intuitiv als «Natur des Menschen» bezeichnen.
Eines der wichtigsten und am besten erforschten Beispiele ist die Inzestvermeidung.[ 6 ] Inzesttabus sind eine kulturelle Universalie. Alle von den mehreren hundert Gesellschaften, die anthropologisch untersucht wurden, tolerieren und fördern gelegentlich sogar Ehen zwischen Cousins ersten Grades, verbieten sie aber zwischen Geschwistern und Halbgeschwistern. Sehr wenige Gesellschaften haben in historischer Zeit den Bruder-Schwester-Inzest für einige ihrer Mitglieder institutionalisiert. Das ist oder war der Fall bei den Inkas, auf Hawaii, in Thailand, im alten Ägypten, im Munhumutapa-Reich in Simbabwe, in Ankale, Buganda und Bunyoro in Uganda, in der kenianischen Provinz Nyanza, bei den Zande und Schilluk im Südsudan und in Dahomey. Diese Praxis war jeweils in Rituale eingebettet und beschränkte sich auf die Königsfamilie oder andere hochrangige Gruppen. Politische Macht wurde über die männliche Linie vererbt, und die Männer konnten mehrere Frauen haben, so dass sie auch nichtinzestuöse Kinder zeugen konnten.
Ansonsten wird der Inzest zwischen Bruder und Schwester strikt vermieden. Die persönliche Abscheu dagegen wird in den meisten Kulturen über Tabus und Gesetze sozial verstärkt. Das Risiko für Fehlbildungen bei Kindern von inzestuösen Paaren ist gut erforscht. Durchschnittlich besitzt jeder Mensch irgendwo auf seinen 32 Chromosomenpaaren wenigstens zwei Stellen mit rezessiven Genen, die in gewissem Ausmaß defekt und im Extremfall tödlich sind. An jedem dieser Orte kommt das rezessive Gen auf einem Chromosom vor, das Gegenüber auf dem anderen Chromosom ist normal. Enthalten beide Chromosomen das defekte Gen, so entwickelt der Träger die Krankheit – oder zumindest ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Der Defekt kann schon im Mutterleib auftreten und zur spontanen Fehlgeburt führen. Ist dagegen eines der beiden Gene normal, so übertrifft es die Wirkung des defekten Gens, und das Kind entwickelt sich normal. Deswegen bezeichnet man das Gen als «rezessiv»: Es zieht sich gleichsam hinter sein normales, «dominantes» Doppel zurück. Anfällig sind nach heutigem Wissensstand sowohl Protein-codierende Gene als auch die Regulationsbereiche der DNA zwischen den Genen. Zu den genetisch bedingten Krankheiten, die entweder klar rezessiv oder fast rezessiv sind, gehören Makuladegeneration, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED), Prostatakrebs, Fettleibigkeit, Diabetes Typ 2 und Herzfehler.[ 7 ]
Die zerstörerischen Folgen des Inzests treten generell nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Pflanzen und Tieren auf. Fast alle Arten, die für mäßige oder schwere Inzuchtdepression anfällig sind, setzen in irgendeiner Form biologisch programmierte Methoden zur Inzuchtvermeidung ein. Bei Menschenaffen und geschwänzten Affen sowie anderen nichtmenschlichen Primaten ist diese Methode zweischichtig. Erstens neigen bei allen neunzehn sozialen Arten, deren Paarungsmuster untersucht wurden, junge Individuen zu dem, was man beim Menschen als Exogamie bezeichnet. Bevor sie ganz ausgewachsen sind, verlassen sie die Gruppe ihrer Geburt und schließen sich einer anderen an. Bei den Lemuren auf Madagaskar und bei den meisten Alt- und Neuweltaffen emigrieren die Männchen. Beim Roten Stummelaffen, Mantelpavian, Gorilla und beim afrikanischen Schimpansen verlassen die Weibchen die Gruppe. Beim mittel- und südamerikanischen Brüllaffen emigrieren beide Geschlechter. Dabei werden die Jungtiere dieser verschiedenen Primatenarten nicht etwa durch aggressive Erwachsene aus der Gruppe vertrieben – offenbar gehen sie vollständig freiwillig.
Beim Menschen kommt es zu genau demselben Phänomen in Form der Exogamie, bei der junge Erwachsene, in der Regel Frauen, zwischen Stämmen ausgetauscht werden. Dieser exogame Frauentausch hat vielerlei kulturelle Folgen, die von Anthropologen detailliert untersucht wurden.[ 8 ] Um den Ursprung der Exogamie als Instinkt mit deutlich genetischer Prägung zu erklären, müssen wir nicht weiter gehen als zu dem universellen Muster, dem auch alle anderen Primatenarten folgen.
Worin ihr evolutionärer Ursprung auch letztlich liegt und wie immer sie den Fortpflanzungserfolg
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