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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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Erachtens jahrhundertelang ohne Not verkompliziert haben. Gibt es Gott? Und wenn es ihn gibt, ist es ein persönlicher Gott, einer, zu dem wir beten können in der Erwartung, dass er uns antwortet? Und wenn ja, können wir dann erwarten, dass wir unsterblich sind und, sagen wir für den Anfang, die nächsten Billionen Billionen Jahre in Frieden und Freude leben werden?
    An diesen Grundfragen entlang vertiefte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts die Kluft zwischen religiös Gläubigen und atheistischen Wissenschaftlern. 1910 ergab eine Erhebung unter angesehenen Wissenschaftlern im American Men of Science , dass immerhin 32 Prozent von ihnen an einen persönlichen Gott glaubten und 37 Prozent an die Unsterblichkeit. Als die Erhebung 1933 wiederholt wurde, glaubten nur noch 13 Prozent an Gott und 15 Prozent an die Unsterblichkeit. Die Tendenz ist weiter fallend. 1998 gingen die Werte für die Mitglieder der US-Akademie der Wissenschaften, ein vom Bund gesponserter Verband von Elite-Forschern, gegen null. Nur 10 Prozent gaben an, entweder an Gott oder an die Unsterblichkeit zu glauben. Zu ihnen gehörten gerade einmal zwei Prozent der Biologen.[ 58 ]
    In modernen Gesellschaften hat es allgemein keine übergeordnete Bedeutung mehr, ob man einer organisierten Religion angehört. Das bezeugen etwa die erheblichen religiösen Unterschiede zwischen den Menschen in den USA und in Europa. Umfragen aus den späten 1990er Jahren ergaben, dass über 95 Prozent der Amerikaner an Gott oder irgendeine universelle Lebenskraft glaubten, gegenüber 61 Prozent der Briten. 84 Prozent der Amerikaner glauben an Jesus als Gott oder Gottes Sohn, aber nur 46 Prozent der Briten tun das. 1979 glaubten laut einer Umfrage 70 Prozent der Amerikaner an ein Leben nach dem Tod, aber nur 46 Prozent der Italiener, 43 Prozent der Franzosen und 35 Prozent der Skandinavier. Beinahe 45 Prozent der Amerikaner gehen heute noch mehr als einmal pro Woche in die Kirche, gegenüber 13 Prozent der Briten, 10 Prozent der Franzosen, 3 Prozent der Dänen und 2 Prozent der Isländer.[ 59 ]
    Ich werde oft gefragt, worauf diese Unterschiede zwischen den Kontinenten zurückzuführen sind, obwohl doch die meisten Amerikaner europäischer Abkunft sind. Für viel Verwunderung sorgen auch immer wieder die weit verbreitete wörtliche Auslegung der Bibel und die Tatsache, dass die Hälfte der US-Bevölkerung die biologische Evolution leugnet. Ich wurde selbst als Südlicher Baptist erzogen, in einer evangelikalen Gruppierung also, der auch ein Großteil der amerikanischen christlichen Fundamentalisten angehören, und so kenne ich sehr gut die Macht der King-James-Bibel, die menschliche Wärme und Großmut der unter ihr Vereinten und das Gefühl des Ausgeliefertseins in einer Kultur, die in ihren Augen immer gottloser wird. Die unbestechliche, unwiderlegbare Bibel bedient alle geistlichen Bedürfnisse. Ihre hehren Worte sind ein nie versiegender Quell von Sinn. In einsamen Momenten findet der Gläubige darin Geleit, im Kummer findet er Trost, und auf einem moralischen Irrweg erwartet er Erlösung. «Welch ein Freund ist Jesus», tönt ein beliebtes Kirchenlied, «der uns unsre Sünden trägt! Welch ein Glück: Wir dürfen alles auf Gott werfen im Gebet!» Es gibt historische Gründe, aus denen es in Amerika so viele fundamentalistische Protestanten gibt, und ich überlasse es den Historikern, sie darzulegen. Wer aber glaubt, seine Kultur drohe unter dem Gelächter der Vernunft zu zerbrechen, dem sage ich: Denk noch einmal nach. Es gibt Umstände, unter denen intelligente, gebildete Menschen ihre Identität und den Sinn ihres Lebens mit ihrer Religion gleichsetzen, und das ist ein solcher Umstand.
    Wenn ein persönlicher Gott oder mehrere Götter oder immaterielle Geister gewissermaßen nicht allgemein anerkannt sind, wie wäre es dann mit einer göttlichen Macht als Schöpfer des Universums? Könnten wir alle so einen Schöpfer verehren – auch wenn er sich nicht besonders um uns kümmern würde? So lautet das Argument des Deismus: Die materielle Existenz begann, weil etwas oder jemand das wollte. Wenn das stimmt, liegt der Grund für die Erschaffung des Universums bis heute im Dunkeln – 13,7 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Ein paar ernsthafte Wissenschaftler argumentieren, dass es zumindest einen Schöpfergott gegeben haben muss. Kern ihrer Überlegung ist das anthropische Prinzip, dem zufolge die Gesetze der Physik und ihre Parameter genau austariert

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