Die spaete Ernte des Henry Cage
Beach begann gerade die Happy Hour. Sie goss sich Wodka in ein Glas und freute sich, dass sie nicht allein trank.
13.
Detective Sergeant Cummings rief kurz vor acht Uhr an.
»Ah, gut, dass ich Sie noch erwische. Wir haben nichts mehr von Ihnen gehört, deshalb gehe ich davon aus, dass alles in Ordnung ist. Keinen Ärger mehr?«
Henry fielen sofort die drei Polaroids zwischen den Seiten von James Laughlins gesammelten Gedichten ein, ein Band, der, wie er annahm, wohl kaum Mrs Abrahams Neugierde erregen würde.
»Nein, nichts weiter, glücklicherweise.« Sein Zögern war kaum merklich gewesen; zumindest dachte Henry das.
»Sind Sie sicher, Sir?«
»Wieso – glauben Sie, er wird wiederkommen?«
Es gab eine lange Pause, bevor der Polizist darauf antwortete. Henry konnte hören, wie am anderen Ende der Leitung ein Streichholz angerissen wurde.
»Das ist das zweite Mal, dass Sie diese Vermutung äußern, Mr Cage. Sagen wir mal, Sie haben recht, und eshandelt sich um einen Mann – obwohl ich nicht weiß, welchen Beweis es dafür gibt, aber sagen wir, es ist ein Mann, dann frage ich mich, was ihn veranlasst hat, einfach aufzuhören. Sie haben ihm doch kein Geld dafür gegeben, dass er verschwindet, oder?«
Der Frage folgte ein Kichern, Henry verstand die Anspielung und ließ die Frage unbeantwortet im Raum stehen.
»Sehen Sie, Mr Cage – das ist es, was mir Sorge macht; da draußen ist jemand, der eine Obsession hat und hinter Ihnen her ist. Er will Ihnen auf jeden Fall was Böses, Sir. Sie sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Ich rufe Sie an, wenn was passiert.« Henry bemerkte die routinierte Unehrlichkeit in seiner Reaktion. »Sie können sich darauf verlassen.«
Zu spät. Der Beamte hatte mitten im Satz aufgelegt.
Auf dem Weg zur Brasserie war Henry immer noch unwohl wegen des Gesprächs, nicht wegen des abrupten Endes, sondern wegen der Uhrzeit. Warum hatte Cummings ihn so früh angerufen? Was hatte er noch mal gesagt? »Gut, dass ich Sie noch erwische.« So, als habe er Henrys Termine gekannt und genau gewusst, wann er zum Frühstück ging. Henry schob den Gedanken beiseite. Er litt langsam unter Verfolgungswahn; die Bemerkung hatte keine besondere Bedeutung gehabt; so etwas hätte doch jeder zu Beginn eines Arbeitstages sagen können. Henry beschleunigte seine Schritte, er wollte Maude sehen.
Seit ihrer ersten Begegnung war eine Woche vergangen,und er freute sich auf das Gespräch mit ihr. Sie hatte ihm immer noch nicht verraten, warum sie Henry Cage & Partners den Rücken gekehrt hatte, doch gestern hatte sie auf sein wiederholtes Nachfragen geantwortet: »Sonntags habe ich frei – laden Sie mich zum Essen ein, und ich sage es Ihnen.«
Als Henry die Brasserie betrat, war die Nichtraucherecke besetzt. Er musste sich unter die Paffer und Huster im Hinterzimmer setzen. Henry war ungehalten darüber, dass Maude ihn nun nicht bedienen würde. Er hatte gehofft, mit ihr über das sonntägliche Mittagessen sprechen zu können. Sie hatte ihn gesehen und ihm signalisiert, dass sie später bei ihm vorbeikommen würde. Er bestellte sich das Übliche: koffeinfreien Kaffee, schwarz, und ein Croissant (keine Butter, keine Marmelade), dann schlug er sein Buch auf.
Am Sonntag zog er sich mehrmals um. Sein Anblick im Spiegel entmutigte ihn zusehends. Mit Jackett und Krawatte kam er sich spießig vor und sah sich im Geiste schon Maude als der Onkel vom Lande gegenübersitzen. Im Anzug war er ihr Bankmanager. Er nahm die Krawatte ab und öffnete den obersten Hemdknopf. Das wirkte legerer, doch als er das Kinn sinken ließ, tauchte eine senkrechte Hautfalte auf. Sein Kopf schien auf dem Hals eines Truthahns zu sitzen. Schließlich entschied er sich für einen Rollkragenpullover und eine Cordhose. Es war doch einerlei. Es war ja eigentlich kein Rendezvous. Oder doch?
Sie hatten verabredet, sich im Restaurant zu treffen, einem kleinen Italiener, wo man ihn gut kannte. Sein Angebot,sie von ihrer Wohnung abzuholen, hatte Maude abgelehnt.
»Glauben Sie mir, Sie wollen mich sonntagmorgens nur wenn unbedingt nötig zu Gesicht bekommen. Ich werde um halb zwei im Restaurant sein.«
Henry traf früher dort ein, um sicherzugehen, dass sie den Tisch bekommen hatten, den er wollte, hinten im Raum an zwei Fenstern mit Blick auf einen Hinterhofgarten. Er bat den Kellner, eins der Gedecke umzustellen, damit sie beide in den Raum hineinschauen konnten. Henry saß nicht gern mit dem Rücken zum Geschehen und mied
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