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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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Restaurants, in denen er keinen runden Tisch und keine Privatsphäre haben konnte. Er schlug sein Buch auf. Er las gerade
A Game of Hide and Seek
von Elizabeth Taylor, eine besonders englische Liebesgeschichte, wie er immer gefunden hatte, und eine der besten überhaupt. Er sah auf die Uhr – gut, er hatte noch eine Viertelstunde Zeit.
    Und so sah Maude ihn von der Tür aus. Kopf gesenkt, tief in ein Buch versunken. Sie bemerkte den langen Bogen seines Rückens, ohne Jackett wirkten seine Schultern schmächtig. Das war das erste Mal, dass sie ihn so genau betrachtete.
    »Hallo, wie ich sehe, haben Sie sich vorsorglich etwas mitgebracht, falls das Essen langweilig wird.«
    Henry stand auf und rückte ihr den Stuhl zurecht.
    »Das war nur, um die langweilige Wartezeit zu überbrücken.«
    Die Speisekarten kamen, und Maude hatte sich schnell entschieden. Gnocchi als erster Gang, dann Lamm. Begeistertakzeptierte sie die dazu empfohlenen Kartoffeln und den Spinat. Henry war amüsiert. Jahrelang hatte er bei Geschäftsessen Damen gegenübergesessen, die gegrilltes Gemüse und Seeteufel bestellten – und einen Espresso, bitte.
    »Sie erinnern mich an meine Ex-Frau«, sagte er.
    »Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?«
    »Sie liebte Gnocchi – die italienische Küche überhaupt.«
    »Kam sie gern hierher?«
    Erst jetzt bemerkte Henry, wie taktlos er gewesen war.
    »Nein, dieses Lokal gab es damals noch nicht.«
    Henry fühlte sich wie bei ihrer ersten Begegnung im Fahrstuhl; er starrte auf seine Schuhe, und es fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen können. Er hatte die Unterhaltung in eine Sackgasse manövriert.
    Gerettet wurden sie durch das Eintreffen eines Tellers
carta da musica
– knusprige, hauchdünne Fladen ungesäuerten Brots, gewürzt mit Rosmarin und Olivenöl.
    »Eine Spezialität. Der Küchenchef ist Sarde und … na, Sie werden sehen … davon kann man nicht genug kriegen.«
    Der peinliche Augenblick ging vorüber; in den folgenden zwei Stunden unternahmen die beiden die uralte Reise von bloßer Anziehung zur Affäre, ein Übergang, der durch gegenseitige Geständnisse noch beschleunigt wird. Henry sprach von Nessa und der Scheidung, Maude von dem Mann mit den Socken.
    Als es Zeit war, zu gehen, lud sie ihn zu sich in ihreWohnung ein. Im Hausflur gab sie ihm einen Kuss – als Ermutigung, die fünf Stockwerke bis hinauf ins Dach zu steigen, sagte sie. Als sie oben ankamen, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. Henry war noch atemlos vom Treppensteigen und blieb in der Tür stehen. Maude setzte sich aufs Bett und zog sich die Bluse über den Kopf. Er schnappte unwillkürlich nach Luft. Ihre Haut schimmerte olivfarben, ihre Brüste waren außergewöhnlich schön und unerwartet üppig – die Brustwarzen umgeben von großen Höfen in der Farbe von Milchschokolade. Hinterher glaubte er, in den Falten ihres Körpers Vanille geschmeckt zu haben.

14.
    Es war ein gutes Gefühl, Maude beim Autofahren neben sich zu haben.
    Für Henry hatte sich die eigentliche Intimität in einem Auto stets auf den Vordersitzen abgespielt, nicht auf der Rückbank. Damit meinte er nicht Sex, auch wenn ihm das als junger Mann durchaus nicht fremd geblieben war. Nein, die Romanze bestand darin, mit einer Frau auf dem Nebensitz Auto zu fahren. Er genoss das Beisammensein, das gemeinsame Ziel und die Freude, sich den schönen Ausblick zu teilen. Besonders liebte er Fahrten bei Nacht, wenn der Schein der Armaturen wie die Beleuchtung in einem Schwarz-Weiß-Film der Vierziger wirkte. Bei Nacht waren all seine Begleiterinnen schön gewesen.
    Vor allem aber mochte er das Gespräch. Nessa und er hatten ihre aufrichtigsten Unterhaltungen auf langen Fahrten geführt. Im Auto saß man nebeneinander, sah sich nicht direkt an, schaute nicht argwöhnisch nach den winzigen Anzeichen und unwillkürlichen Gesten, die dieLüge des gesprochenen Wortes verrieten. Die katholische Kirche mit ihren Vorhängen in den Beichtstühlen hatte stets gewusst, dass ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht keine Möglichkeit ist, zur Wahrheit zu gelangen. Und beim Psychoanalytiker legte man sich hin; nichts von diesem Unsinn, sich beim Reden gegenseitig in die Augen zu schauen.
    Henry warf einen Blick auf Maudes Knie – die ihn nicht mehr so ablenkten, seit sie eine Straßenkarte darauf ausgebreitet hatte. In Mildenhall hatte er im Kreisverkehr die falsche Abfahrt genommen, und als Maude seinen Fehler bemerkte, hatte sie eine

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