Die spaete Ernte des Henry Cage
und zog die Knie an die Brust.
»Ich gehe.«
An der Tür machte er kehrt und ließ sich auf ein Knie sinken. Nettes Foto – jetzt ’ne Kamera, dann bekämen die Kunden alles zu sehen.
Als Eileen die Außentür zuklappen hörte, ging sie ans Fenster. Sie wohnten in der Sozialwohnung seiner Mutter, aber die war nicht da. Sie hatte die Verachtung ihres Sohnes noch verletzender gefunden als seine Fäuste und war inoffiziell zu ihrer Schwester nach Ealing gezogen.
Vom Fenster aus sah Eileen, wie Colin schnellen Schrittes die Ebury Street überquerte. Sie wusste, er ging ins Fitnessstudio. Er wollte in seinem verletzten Arm so schnell wie möglich wieder die Muskeln aufbauen. Sobald er fit sei, würde er wieder aufs Gerüst steigen, hatte er zu ihr gesagt; er vermisse die Kumpel.
Eileen tat der Kopf weh, und am liebsten hätte sie sich wieder hingelegt und weitergeschlafen, aber sie musste um halb zehn bei der Arbeit sein. Sie hatte schon alle möglichen Jobs gehabt, seit sie nach London gekommen war, meistens in Läden. Sie blieb eine Weile dabei, bis sie die Schnauze voll davon hatte, auch samstags zu schuften, dann lebte sie von der Stütze. Im Augenblick jobbte sie im Body Shop, was Colin, bei guter Laune, für eine passende Arbeit gehalten hatte. Es gefiel ihr dort. Es roch gut, derLaden war nicht weit von der Wohnung entfernt, und es gab dort keine Männer. Männer, das hieß Grapschen im Lagerraum und Witze über ihre Brüste.
Im Bad, besänftigt durch ökologisch verträgliche Baumöle von irgendwo in Südamerika (sie kam nicht drauf, wo), wog sie zum zigsten Mal das Für und Wider ab, Colin zu verlassen. Er war wirklich nicht besonders im Bett, und sie war sich nie sicher, ob er Spaß dabei hatte. Oft ging’s nur schnell rein, schnell raus, fertig, so, als würde er ein Glas Wasser trinken. Aber es hatte schon Schlimmere gegeben. Dafür war Colin clever und kannte sich mit dem Fotografieren aus. Er hatte ihr den Job mit dem Sonnenstudio besorgt – zweihundert Pfund für zwei Stunden Arbeit –, und obwohl er die Hälfte für sich behalten hatte, war es doch ihr erster Auftrag als Model gewesen, also immerhin ein Anfang. Darin war sie mit ihm einig. Andererseits sah sie, dass an ihm etwas Irres war, wie zum Beispiel diesen Typen in Chelsea zu verfolgen und sie mitzuschleifen, um Fotos von dem Haus zu machen. Was sollte das alles? Manchmal jagte Colin ihr Angst ein. Nicht nur die Ohrfeigen, auch die Stimmungsschwankungen und das Schweigen. Oft wollte er nicht mit ihr reden. Er konnte eine halbe Stunde damit verbringen, Schuhe zu putzen, ohne ein Wort zu sagen.
Colin interessierte sich wohl nicht ernsthaft für sie, nahm Eileen an. Er nutzte sie nur aus; aber sie machte es ja auch nicht anders.
Sie trocknete sich vor der Spiegelwand ab, ließ das Handtuch fallen und wartete, bis der Spiegel nicht mehrbeschlagen war. Als sie sich sehen konnte, stellte sie sich in Pose, wie auf dem Marilyn-Monroe-Poster in ihrem Zimmer zu Hause – Hände hinter den Kopf, Gewicht auf den linken Fuß, rechtes Knie leicht gebeugt, Bauch vor –, ja, sie sah gut aus. Sie ließ das Haar vor ihr Gesicht fallen.
27.
»Warum unternehmt ihr nicht mal was allein?« Jack sah Tom und Jane an.
Sie saßen alle draußen auf der Terrasse. Jack war zum Abendessen gekommen. Henry wollte später grillen.
»Eine großartige Idee«, bekräftigte Nessa. »Tom und Jane, unternehmt was, bitte – ihr hattet ja nun wirklich nicht viel Zeit für euch.«
»Ja, und nehmt meinen Wagen, nicht diese Blechbüchsevon Mietauto, das ihr da habt. Bewegt euch stilvoll, meine Freunde.«
Es war beschlossene Sache.
Tom und Jane fuhren mit dem Impala nach Boynton Beach zu einem Lokal, das ihnen Jack empfohlen hatte, gleich am Strand.
»Bestellt euch Rum Runners und panierte Muscheln, da könnt ihr kaum was falsch machen«, hatte Jack gesagt. »Und keinen zweiten Rum für den Fahrer.«
Das meine er nur so zum Spaß, das mit dem zweitenDrink, hatte er gesagt, aber alle wussten, dass Jack nicht scherzte.
Das Essen war gut, und als sie gerade damit fertig waren, zündeten die Bedienungen bereits die Kerzen auf den Tischen an.
»Es ist schön hier. Es kommt mir nicht richtig vor, so glücklich zu sein – doch hier und jetzt und mit dir bin ich es.«
Ihre Augen standen voller Tränen.
»Ich habe ihr gestern einen Kaffee gebracht und wäre ihr fast auf die Füße getreten, bis sie mich bemerkt hat.«
»Ich weiß, aber sie ist ganz friedlich, findest du
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