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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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nach Norfolk.«
    Henry, der nicht hatte erkannt werden wollen, hatte sich am letzten Tag in Brixton den Kopf geschoren. Sein Aussehen hatte sich ohnehin verändert; er war plötzlich gealtert, wie nach einem Sturz, einer Operation – odereinem Monat im Gefängnis. Er hatte Jack in der Ankunftshalle gesehen, war aber direkt an ihm vorbeigegangen. Als die letzten Nachzügler die Kofferhalle verließen und Jack langsam nervös wurde, hatte Henry ihn von hinten am Ärmel gezupft.
    »Himmel, kein Wunder, dass ich dich nicht erkannt habe. Wozu dieser Verbrecher-Look – ich dachte, sie haben dich laufen lassen?«
    Henry war über diese Bemerkung verärgert, er hatte nicht mit Jacks munterer Zunge gerechnet, erwiderte aber nichts darauf. Im Auto schloss er die Augen und tat so, als würde er schlafen.
    Vor dem Haus gab Jack ihm die Schlüssel.
    »Im Kühlschrank ist was zu essen, und du weißt ja, wo ich bin. Komm vorbei, wenn du so weit bist.«
    Henry rührte sich zwei Wochen lang nicht. Als der Kühlschrank leer war, bestellte er sich Pizza.
    Tom rief jeden zweiten Tag gegen Mittag an, und Henry sprach mit Hal. An den Nachmittagen ging er am Strand spazieren. Am Abend schlief er vor dem Fernseher.
    Jack wartete geduldig. Als Henry schließlich zum Frühstücken kam, entschuldigte sich Jack bei ihm.
    »Tut mir leid. Ich habe eine schnelle Zunge und einen langsamen Verstand. Keine gute Kombination, ich weiß.«
    Er reichte Henry die Hand zum Gruß.
    In den kommenden Wochen entspannte sich Henry ein wenig, und Jack fragte ihn nach seiner Zeit im Gefängnis.
    »Ich würde es niemandem empfehlen, aber zumindestkann man sich dort gut verstecken. Keine Kameras, keine Reporter.«
    Zuerst hatte Henry Angst gehabt. Er hatte mit Feindseligkeiten der anderen Häftlinge gerechnet. Er, ein Bücherwurm und bekanntermaßen wohlhabender Mann, hatte befürchtet, eine ideale Zielscheibe abzugeben. Aber er hatte sich geirrt. Man hatte ihn einfach links liegengelassen. Wegen Überbelegung mussten die Insassen die meiste Zeit des Tages in ihren Zellen bleiben. Die Zeit schleppte sich dahin. Die Langeweile wirkte wie ein Beruhigungsmittel im Tee. Niemand kümmerte sich auch nur im Geringsten darum, wer man war oder warum man einsaß.
    Die einzige Abwechslung stellten die Besucher dar. Walter kam fast jeden Tag, Tom und Jane erschienen einmal die Woche. Charles England hatte Henry zweimal besucht und ihm Bücher und Zeitschriften gebracht. Bei seinem ersten Besuch hatte er Henry noch etwas anderes gezeigt.
    »Es wird dir nicht gefallen, aber mach dir keine Sorgen, ich hab dem einen Riegel vorgeschoben.«
    Dann hatte er ein weißes T-Shirt hochgehoben, auf dem in leuchtend roten Buchstaben stand: KEIN KNAST FÜR CAGE
    Charles hatte sich darüber amüsiert, dass Henry unangenehm berührt blickte.
    »Der Plan lautete, dass alle Mitarbeiter auf Downing Street zumarschieren sollten. Kannst du dir das vorstellen? Das ist nicht Henrys Art, habe ich zu ihnen gesagt, aber für die gute Absicht wird er euch danken.«
    Eines Nachmittags war Walter in dunklem Anzug und mit schwarzer Krawatte erschienen.
    »Ich bin heute Morgen zu Batemans Einäscherung gegangen. Ich dachte, das wäre in deinem Sinne.«
    »Danke.«
    Das Ganze war eine kurze, tränenlose Angelegenheit gewesen. Colins Mutter, seine Tante und Walter waren die einzigen Trauergäste. Draußen auf dem Quadratmeter Asphalt, der für den Blumenschmuck für Bateman vorgesehen war, hatte seine Mutter ein trotziges Bouquet abgelegt, eine kitschige Mischung aus Blumen in Farbtönen, die nicht miteinander harmonierten. Mrs Bateman hatte darauf bestanden, dass die Floristin so viele Farben wie nur möglich mischte.
    Drei Tage vor Henrys Entlassung hatte Maude ihn besucht. Sie hatte von Nessa gesprochen. Sie hatte alle Todesanzeigen gelesen und sich gern die alten Fotos dazu angeschaut. »Sie war sehr hübsch.«
    Bevor sie ging, hatte sie ihm noch erzählt, dass sie darüber nachdenke, wieder umzuziehen, vielleicht für eine Weile nach Paris zu gehen und dort zu arbeiten. Schließlich habe sie ja einen Abschluss in Kunstgeschichte. Sie hatte Henry nicht versprochen, ihm ihre neue Adresse zu schicken, hatte auch nicht erwähnt, wie einfach es doch sei, den Eurostar zu nehmen und sich mit ihr in Paris zum Mittagessen zu treffen – doch noch während der Duft ihres Parfüms im Raum hing, hatte Henry sich in Gedanken ausgemalt, diese Reise zu unternehmen.

    Ein einziges Mal während seines Aufenthaltes in

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