Die Spinne (German Edition)
waren sie in Hemdsärmeln. Im Verlauf des Abends hatte Alans Frau Penelope ganze fünf Mal den Begriff Erderwärmung hervorgekramt.
Drei Wochen waren vergangen, seit Xin Zhu nach Qingdao gereist war, doch davon wussten sie beide nichts. Sie wussten auch nicht, dass ihre Frauen unten in der Wohnung der Weavers über die Ehe sprachen. Erst später am Abend sollte Milos Frau ihm die gesamte Unterhaltung wiedergeben, während Penelope ihrem Mann gar nichts erzählte, zumindest nicht in den nächsten Tagen.
»Hör lieber wieder damit auf.« Milo gab ihm die Zigarette zurück und zog eine Blisterpackung Nicorette aus der Brusttasche. Er drückte einen Kaugummi heraus und schnippte ihn sich in den Mund. »Du bist noch nicht mal süchtig. Lass es.«
»Da habe ich wenigstens ein Gefühl von Kontrolle. Das hatte ich schon lange nicht mehr.«
»Und Pen? Was meint sie zum neuen Alan?«
»Sie hält ihn für einen Schwachkopf.«
»Habt ihr irgendwie Probleme?«
»Nein, nein. Das ist das Einzige, was noch gut läuft.«
Milo glaubte ihm nicht so recht. Das langsame Fortschreiten von Alan Drummonds Depression war Milo nicht entgangen, denn seit seiner Heimkehr aus dem Krankenhaus trafen sich die Ehepaare regelmäßig zum Abendessen. Alan behauptete, dass seine Frau auf die Idee zur ersten Einladung gekommen war, doch als sie mit Stephanie im Schlepptau in Drummonds Apartment in der Upper East Side eintrafen, wurde Milo bald klar, dass die Initiative von Alan ausgegangen war, und schon da konnte er in dem jungen, aber bedrückten Gesicht seines Exchefs die Themen ihrer zukünftigen Gespräche lesen: das Ende der beruflichen Karriere, der blutige Schlussstrich unter die Abteilung Tourismus und irgendwo am fernen Horizont auch ihre eigene Sterblichkeit.
In Wahrheit hatte Alan diese gemeinsamen Diners angestoßen, weil er gemeinsam Wunden lecken wollte, doch Milo hatte nur körperlich eine schwere Verletzung davongetragen. Nach neun Wochen hatte der Arzt den Genesungsprozess als »bemerkenswert« beschrieben, nur Alkohol durfte er noch nicht trinken. Allerdings hätte er mit etwas Gin in seinem Tonic diese Unterhaltung vielleicht besser ertragen.
Im Gegensatz zu Milo sah der betrunkene Alan, der auf dem Dach herumschlenderte, seine Zukunft immer noch unweigerlich in der Welt des Nachrichtendienstes. Im Gegensatz zu Milo war er nicht aus kürzester Distanz von dem weinenden Vater eines Mädchens niedergeschossen worden, das durch die Welt des Nachrichtendienstes sein Leben verloren hatte – ein Ereignis, das ihm auch noch die letzten Illusionen über diesen Berufsstand geraubt hatte. Und eigentlich hatte Milo nicht vorgehabt, seinerseits eine Einladung zum Essen folgen zu lassen, doch als sie an diesem ersten Abend nach Hause kamen, schwärmte Tina geradezu von Penelope: Sie ist witzig. Und verdammt intelligent. Genau solche Freunde habe ich mir schon immer gewünscht.
Alan ging in die Hocke und griff nach seinem Bier. »Hast du gewusst, dass ihm seine eigenen Leute Scherereien machen?«
»Wem?«
»Na, wem wohl? Wie sich herausstellt, war sein kleines Massaker nicht mal von oben genehmigt. Inzwischen ist er geschwächt.«
»Wer hat dir das erzählt?«
»Ich hab immer noch Freunde, Milo. Ich bin zwar draußen, aber die Freundschaften gehen weiter.«
Milo fragte sich, wer in der Company so blöd sein konnte, einem verbitterten Mann wie Alan Drummond Geheimnisse anzuvertrauen. Oder er war doch nicht so weit draußen. »Bist du noch immer arbeitslos, Alan?«
»Arbeitslos, ja. Tot, nein. Ich hatte eine wunderbare Idee.«
»Du hattest schon mal Ideen, weißt du noch? Ich war dagegen.«
»Abgewandelt. Radikal abgewandelt.«
Milo erinnerte sich noch gut an Alans fieberhaften Redeschwall vor zwei Wochen, der sich darum drehte, Xin Zhu nach Japan zu locken und ihn in seinem Hotelzimmer zu ermorden. Dann ein anderes, noch ehrgeizigeres Projekt mit Terroristen von der Jugendliga, die während der Olympischen Spiele mit Sprengstoff und Präzisionsgewehren auf Peking vorrücken sollten. Wie Milo war er noch relativ jung, doch wenn er ins Schwadronieren geriet, klang er wie ein zwanzig Jahre älterer Mann am Rand des Wahnsinns. »Das waren schlechte Pläne, Alan. So schlecht, dass man sie nicht mal abwandeln kann.«
»Dann nennen wir es eben einen neuen Plan.« Alan erhob sich wieder aus der Hocke. »Leticia findet den Plan hervorragend.«
»Um die solltest du besser einen Bogen machen.«
»Ich sag dir doch, sie findet ihn
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