Die Spinne (German Edition)
merkwürdig. Letztes Jahr wollte Milo mit uns nach Europa abhauen. Ich war dagegen. Jetzt finde ich die Idee abzuhauen super, und er ist derjenige, der nie wieder in ein Flugzeug steigen will, wie er es ausdrückt.«
»Ja, komisch.« Penelope wirkte zerstreut.
»Und wie sieht es bei euch aus?«
Penelope legte auch die zweite Hand an ihr Glas. Wieder erschien dieses dünne Lächeln. »Ich denke an Scheidung.«
Die Worte klangen so vergnügt, dass Tina glaubte, sich verhört zu haben. Doch als Penelopes Lächeln verblasste, wusste sie, dass es nicht so war. »Seit wann?«
»Wer weiß? Man weiß ja nie, wann so was angefangen hat. Aber in den letzten zwei Monaten ist die Sache immer ernster geworden.«
»Seit der Schließung der Abteilung.«
Penelope nickte und schaute in ihr leeres Glas. »Hast du noch einen Schluck?«
Es war die gleiche Verzögerungstaktik, die Tina vorhin angewandt hatte, da konnte sie ihr keinen Vorwurf machen. Sie ging in die Küche, und als sie eine zweite Flasche Beaujolais öffnete, tauchte Stephanie in ihrem rosa Pyjama auf, unterm Arm die PlayStation, die ihr Milo unvernünftigerweise vor einer Woche gekauft hatte. »Was ist, kleine Miss?«
Stephanie schien erstaunt und blickte über die Schulter Richtung Wohnzimmer. »Stimmt …«
»Was, Schätzchen?«
Stephanies Neigung, beim Sprechen ins Stocken zu geraten, war vermutlich eine Nachwirkung der Ereignisse, die zu Milos Schussverletzung geführt hatten. Egal, was Sie tun , hatte der Therapeut gesagt, lenken Sie nicht die Aufmerksamkeit darauf. Nach kurzem Schweigen brachte Stephanie die Frage heraus. »Stimmt was nicht mit Pen?«
»Alles in Ordnung. Wieso bist du überhaupt auf?«
»Ich hab Durst. Was ist mit ihr?«
»Warum fragst du?«
»Sie weint.«
Tina schaute ihre Tochter an. Manchmal fürchtete sie, dass die Kleine in ihren knapp sieben Lebensjahren schon viel zu viel gesehen hatte. »Sie weint?«
»Ich glaub schon.« Pause. »Weiß nicht.«
»Mach dir keine Sorgen um sie. Sie hat bloß ein paar Probleme.«
»Und du hilfst ihr dabei?«
»Genau, kleine Miss. Ich helfe ihr. Du hast Hunger, sagst du?«
»Durst.«
»Und deswegen bist du wach?«
»Ja.«
»Und die PlayStation war rein zufällig in deiner Hand, als du aufgewacht bist?«
Stephanie drehte das Gerät um und inspizierte es, als wäre sie von seiner Gegenwart völlig überrascht. In ihrem Kopf ratterten die Rädchen. »Ich bin aufgewacht, und sie war plötzlich da!«
Tina gab ihr ein Glas Wasser und schickte sie zurück ins Bett. Dann trug sie den Beaujolais hinüber.
Auf Penelopes zartem, sinnlichem Gesicht waren keine Spuren von Tränen zu erkennen, nur um die Mundwinkel zuckte es leicht. »Ich glaube, ich habe Stephanie erschreckt.«
»Sie hat mich schon oft weinen sehen.« Tina schenkte beiden nach und stellte die Flasche auf den Tisch. Einer plötzlichen Regung folgend, setzte sie sich zu Penelope auf die Couch. »Raus damit.«
»Womit?« Penelope machte eine fahrige Bewegung. »Ich kann nur sagen, dass es schlimmer geworden ist. Männer sind … na ja, sie sind ihre Arbeit, oder? Ist das jetzt sexistisch?«
»Glaub nicht. Höchstens herablassend.«
»Was ich meine … Du bist doch Bibliothekarin. Aber bestimmt das auch, wer du bist?«
»Nein. Ich verstehe, worauf du rauswillst.«
Penelope trank einen Schluck. »Mmm, sehr fein.« Mit neuer Kraft blickte sie Tina an. »Jedenfalls, kaum ist der Job weg, wird er zu einem anderen Menschen. Fängt an zu rauchen. Trainiert wie ein Irrer. Wenn er trinkt, dann bis zum Exzess. Er bricht ohne Grund Streits vom Zaun. Führt sich auf wie ein gestrandeter Soldat, und das ist er wohl auch. Er – und jetzt wird’s wirklich seltsam – hängt ewig im Bad rum. Marschiert los, um ein Ei zu legen, und irgendwann sehr viel später seh ich ihn dann wieder. Und nein, er ist nicht krank, und er masturbiert auch nicht. Wenn er nicht beim Kacken ist, verbarrikadiert er sich in seinem Büro. Als ob er es nicht ertragen könnte, mit mir im selben Zimmer zu sein.«
Während Penelope redete, verglich Tina ihre Schilderung instinktiv damit, wie Milo sich seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit benahm. Seit seiner Schussverletzung. Sie suchte nach Ähnlichkeiten, um auf sie verweisen und sagen zu können: Siehst du? Das machen sie alle. Aber sie wurde nicht fündig. »Und was hat er dazu zu sagen?«
»Dass ihm nichts fehlt. Angeblich ist er bloß zerstreut. Weil er an einem Projekt arbeitet. Aha, und an was für einem
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