Die Spinne (German Edition)
holte tief Luft, ehe er antwortete. »Du hörst mir nicht zu, Alan. Das Massaker an den Touristen hat Xin Zhus Sohn nicht zurückgebracht, und wenn Xin Zhu erledigt wird, bringt das deine Agenten auch nicht zurück. Das sind Moralvorstellungen aus dem Kindergarten. Du solltest dir mal Gedanken über deine Prioritäten machen.«
Alan wirkte unschlüssig.
»Komm«, setzte Milo hinzu, »gehen wir runter und reden wir über die Vorwahlen. Oder über unseren glorreichen Präsidenten. Von mir aus auch über den Baseballer Barry Bonds. Und falls jemand China erwähnt, musst du nur überzeugend deine Trauer über die vielen Toten bei dem Erdbeben zum Ausdruck bringen.«
»Wie viele nach dem letzten Stand?«
»Über sechzigtausend.«
»Eine Menge«, knurrte Alan.
»Allerdings.«
Einen Moment lang starrten sie einander wortlos an. Milo spürte ein dumpfes Pochen im Bauch, das ihn daran erinnerte, wie verzweifelt er nach einem Maulwurf gesucht, wie Xin Zhu sie alle überlistet und wie der trauernde, völlig aufgelöste Moldawier ihn hier mit einer Pistole gestellt hatte.
Alan wischte sich erneut über die Lippen. »Vielleicht hast du recht.«
»Zumindest bin ich nicht weit davon entfernt.«
»Hör zu.« Alan senkte ein wenig die Stimme. »Ich überlege mir, ob ich nicht einfach Urlaub mache.«
»Und wie nennst du das, was gerade hinter dir liegt?«
Alan blinzelte leicht, als müsste er seinen Ärger unterdrücken, doch dann wirkte er wieder normal. »Damit ich mit Pen ein bisschen aus der Stadt rauskomme. In Colorado gibt es ein schönes Plätzchen mit Blockhütten am Grand Lake. Ganz abgeschieden, weitab vom Schuss. Heißt Grand Estes Cabins.«
»Möchtest du denn weitab vom Schuss sein?«
»Kann manchmal ganz nützlich sein.« Alan zwinkerte.
Milo klopfte ihm auf die harte, muskulöse Schulter. »Komm, wir wollen runter.«
Nach dem ersten Schritt hielt Alan inne. »Aber wenn du es dir anders überlegst – wenn dich plötzlich der Rachedurst packt –, dann gibst du mir Bescheid.«
»Vergiss es.«
»Und wenn ich nicht erreichbar bin, nimmst du Kontakt zu Leticia auf. Wie das geht, weißt du ja sicher noch.«
Milo musterte ihn erneut. »Ich überlege es mir bestimmt nicht anders, also kann ich auch auf Leticias vertracktes Kontaktverfahren verzichten.«
»Nur für alle Fälle.«
»Klar, ich erinnere mich noch. Aber jetzt gehen wir runter und machen unseren Frauen vor, dass wir nette Jungs sind.«
Er brachte Alan zur Dachtür, und als sie mit eingezogenen Köpfen nach unten stiegen, hörten sie Musik, die durch das enge Treppenhaus heraufdrang.
»Was ist das?«, fragte Penelope.
»Ich weiß nicht, ich …« Tina beugte sich vor, um auf das Display von Milos iPod zu spähen, der an die Stereoanlage angeschlossen war. »Françoise Hardy. Klingt nett.«
»Die Musik ist von Milo, sagst du?«
Tina kehrte zur Couch zurück und griff nach ihrem Wein. »Ja. Komisch, oder?«
Penelope wiegte den Kopf hin und her, als wollte sie sich nicht auf eine Meinung festnageln lassen. »Du hast recht, es ist nett, aber ich hab das Gefühl, du hast es angemacht, um das Thema zu wechseln.« Sie setzte ein feines Lächeln auf und lehnte sich mit ihrem Glas zurück.
»Nein, nein – ich wollte nur kurz überlegen. Die Antwort lautet ja. Wir kommen gut miteinander klar, obwohl wir mit der Eheberatung eine Pause eingelegt haben.«
»War die Idee von ihm oder von dir?«
»Von uns beiden. Stephanie hat ihren Vater in einer Blutlache gesehen. Wir müssen uns jetzt auf sie konzentrieren. Sie geht einmal pro Woche zu einem Therapeuten, und anscheinend läuft es ganz gut. Bestimmt machen wir bald weiter mit der Eheberatung, obwohl ich gar nicht weiß, ob wir sie noch brauchen.«
»Aber …?«
»Kein Aber. Nicht wirklich. Sobald er einen Job gefunden hat, ist er auch wieder zufriedener. Wenn man überall auf der Welt in Hotels gelebt hat und dann auf einmal ohne Arbeit in so einem kleinen, schäbigen Apartment sitzt, geht das nicht ohne Spannungen ab. Ich weiß, das klingt naiv und optimistisch, aber ich habe meine Gründe.«
Penelope schüttelte den Kopf. »Ich sage gar nichts. Du kennst mich ja, ich bin diskret wie eine Buddhistin.«
Beide lachten. »Es ist einfach diese Wohnung.« Mit einer ausholenden Geste wies Tina auf ihre Umgebung. »Ich glaube, ich würde gern umziehen. Immer wenn ich die Treppe runtergehe, schnürt es mir die Kehle zu.«
»Du rechnest damit, dass unten ein Typ mit einer Waffe lauert.«
»Schon
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