Die Spionin im Kurbad
Finger an seinen Hals. Dann öffnete sie Weste und Hemd und befühlte auch seine Brust. Zuletzt kramte sie einen kleinen Spiegel aus ihrem Retikül und hielt ihn an seine Lippen.
Dann schnüffelte sie wieder.
Tigerstroem hielt sich an einer Tischkante fest, seine Fingerknöchel waren ganz weiß geworden. Sein Gesicht auch.
» Tigerstroem, es tut mir leid. Er ist von uns gegangen. Ich kann nicht mehr helfen.«
Tigerstroem atmete mit einem Schluchzen ein und zog ein Tuch aus der Tasche. Er drückte es sich an die Lippen. Altea fasste ihn am Arm und schob ihn zu einem Stuhl. Zitternd setzte er sich.
» Tigerstroem, schauen Sie mich an.«
Er hob den Kopf.
» Ihr Freund wusste, dass er sterben würde, nicht wahr?«
Der Photograph nickte.
» Hat er angedeutet, dass sein Leiden unerträglich wurde?«
Jetzt schüttelte er heftig den Kopf.
» Hat er in der letzten Zeit über seinen Tod gesprochen?«
» Nein. Doch. Aber nein. Altea, glauben Sie etwa, er habe sich umgebracht?«
» Das wäre angesichts seiner Lage doch nicht völlig unwahrscheinlich, oder?«
» Doch, doch. Er hat so am Leben gehangen. Er hatte doch noch Pläne. Er war glücklich hier. Es ging ihm besser. Warum sagen Sie so etwas?«
» Riechen Sie es nicht, Tigerstroem?«
» Was? Was soll ich riechen?«
» Den Bittermandelgeruch.«
» Er mochte Süßigkeiten … Oh Gott …«
» Wann waren Sie das letzte Mal in Ihrem Laboratorium?«
» Gestern!«
Tigerstroem schoss von seinem Stuhl hoch.
» Langsam, ganz langsam. Wir gehen jetzt gemeinsam nach unten und schauen, ob etwas verändert ist. Aber vorher werde ich jemanden beauftragen, den Kurarzt zu holen.«
» Ja, ja, natürlich.«
Altea verschwand, kam aber gleich darauf wieder.
» Und nun in den Keller.«
Ich schlich hinterher, wies aber Filou an, oben Wache zu halten.
Tigerstroem sah sich um, und Altea betrachtete eingehend die braune Flasche mit der Blausäure.
» Ist ihr etwas entnommen worden?«
Er betrachtete sie ebenfalls.
» Sie steht am selben Platz wie gestern, und sie ist ebenso voll.«
» Ist es die einzige Flasche?«
» Ja, das ist sie. Ich glaube es nicht, Fräulein Altea. Ich kann es nicht glauben. Er wollte leben.«
» Gut, Tigerstroem, dann müssen wir eine weit schrecklichere Möglichkeit ins Auge fassen.«
Der Photograph schwankte. Altea stützte ihn.
» Kommen Sie hoch. Aber schließen Sie wieder gut ab.«
Ich flitzte vor ihnen hoch.
Der Kurarzt ließ auf sich warten, aber Altea schickte den Laufburschen zum Kurhotel, um Vincent zu benachrichtigen. Währenddessen führte sie Tigerstroem in sein Schlafzimmer und nötigte ihn, ein Glas Wasser zu trinken. Vincent kam gleich mit dem Burschen zurück.
» Was ist vorgefallen?«, fragte er, als er in den Raum trat.
Altea flüsterte nur.
» Mord.«
Vincent musterte den Toten.
Und schnüffelte.
» Sieht so aus. Erzählen Sie.«
Sie kam nicht dazu, denn eben polterte auch der Kurarzt in den Raum.
Altea ging zu Tigerstroem zurück, und ich schubste den verstörten Filou an, er solle ihr folgen und sich um seinen Menschen kümmern.
Ich blieb bei Vincent, der sich sehr gründlich in dem Raum umsah, während der Arzt so ziemlich dasselbe machte wie Altea. Und zu dem nämlichen Schluss kam, dass Oppen tot sei.
» Schwache Lunge, nicht wahr? Kriegsverletzung, nicht wahr?«
» Möglich. Ich bin kein Arzt.«
Vincent machte wieder auf steifen Offizier.
» Nächste Angehörige?«
» Ich denke, sein Freund und Partner Egmont Tigerstroem. Sie finden ihn im Nebenzimmer.«
Der Arzt folgte Vincents Handbewegung, und kurz darauf erschien Altea.
» Lassen Sie uns gehen.«
Sie verließen die Kaiserkrone, ich hinterher.
Vincent ging langsam, Altea blieb einige Schritte lang in seinem Tempo, dann meinte sie: » Ich bin ein Krüppel, Herr Major, aber die Füße sollten mir beim Gehen nicht einschlafen.«
Darauf blieb Vincent vollends stehen.
» Sie sind kein Krüppel.«
» Dann führen Sie sich nicht so auf.«
» Gut. Trotzdem werden wir uns eine ruhige Stelle suchen und uns beraten. Kommen Sie. Nicht zum Trinkbrunnen, da ist zu viel Betrieb. Besser zum Ufer.«
Diesmal ging er schneller, und Altea schritt neben ihm aus.
Und ich musste mich wieder hetzen.
Aber dann setzten sie sich endlich auf eine Bank, und ich konnte mich darunter zum gemütlichen Lauschen ausstrecken.
» Der Kurarzt ist ein Idiot.«
» Das fiel mir schon im Fall Bisconti auf. Danke, dass Sie mich informiert haben, Altea.«
» Sie erwähnten
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