Die Spitze des Eichbergs
den geladenen Gästen zählten neben Freunden und Geschäftspartnern auch eine große Zahl von Medienvertretern, Bundestrainer Helmut Schön und DFB-Ligasekretär Wilfried Straub. Presse und DFB-Offizielle waren mit dem Hinweis eingeladen worden, dass einige »interessante Neuigkeiten« zu erwarten seien.
Das öffentliche Auftritte liebende Geburtstagskind nahm mit einem Lächeln auf den Lippen Platz inmitten seiner Gästeschar.
Er hatte auf Tonband aufgezeichnete Beweise, dass es zum Ende der Saison 70/71 zu Schiebungen und korrupten Abmachungen unter Bundesligavereinen gekommen war, deren Opfer gegen Ende die Offenbacher Kickers waren. Tonmeister Hinz baute auf einem Gartentisch das Gerät mit dem ominösen Tonband auf. Als dann der Gastgeber die Haubitze hervorholte und die Bänder mit dem explosiven Inhalt abspielte, verschluckten sich viele am Bier oder Champagner. Ans Büffet wagte sich niemand mehr heran. Helmut Schön, der eigentlich nur gekommen war, um Canellas sein Beileid für den unglücklichen Abstieg auszusprechen, kauerte ängstlich wie ein Kaninchen vor der Schlange am Rande des Gartens. Der deutsche Fußball hatte soeben seine Unschuld verloren.
»SCHIEBUNG, SCHIEBUNG«
In dem auf Tonband aufgezeichneten Beweismaterial verhandelten drei bekannte Bundesligaspieler offen über den Verkauf von Spielen. Im Klartext: Im Abstiegskampf war nach Strich und Faden geschoben worden, kofferweise wurden die Banknoten durch Deutschland gefahren, bündelweise wurde der Judaslohn in die Socken gestopft. Korrupte Spieler? Verschobene Matches? Schwarze Handgelder? Das alles durfte nicht wahr sein. So kurz vor der WM im eigenen Lande konnte der deutsche Fußball keinen Skandal gebrauchen.
16. »ICH HÄTTE MICH ZU TODE GESCHÄMT«
Über die Details der Enthüllungen auf den Tonbändern werden wir später noch viel mehr erfahren, jedoch wollen wir versuchen, die Ereignisse chronologisch und mit Blick durch die blau-weiße Brille aufzuarbeiten. Zwar wurde auf Canellas' Geburtstags-Party noch nicht über Schalke gesprochen, doch auch hier im Westen war man sich schon lange nicht mehr sicher, ob bei den Königsblauen alles korrekt ablief. Ganz besonders nicht beim Heimspiel am 17. April 1971 gegen Arminia Bielefeld. Schalke spielte so schlecht -schlechter geht's nicht. »Der Sportbeobachter« (eine Art »RevierSport« der 60er und 70er Jahre) urteilte, dass Schalke seit dem Abstiegsjahr 1965 (nur die Aufstockung der Bundesliga auf 18 Vereine rettete Schalke damals) nicht mehr so mies gespielt hätte.
"Dieser Dummkopf hat gewettet, dass Arminia in Schalke nicht gewinnen kann!"
Ernst Kuzorra, der trotz seiner 65 Lenze sonst immer noch wie ein jugendlicher Haudegen wirkte, war plötzlich alt geworden. Wortlos starrte er nach dem Spiel im Kasino auf sein Bier. Zeitweise sah es so aus, als kämpfte er mit den Tränen. Dann schüttelte er den Kopf, und es brach aus ihm heraus: »Schämen sollten sie sich! Schämen! Ich hätte mich als Fußballer zu Tode geschämt!«
In Ostwestfalen bejubelte man natürlich den Sieg über den großen Favoriten. In Gelsenkirchen jedoch gab es nur Hohn und Spott für eine Mannschaft, in der die Hälfte der Spieler unter Normalform über den Rasen tänzelte. Und ganz klar, in Offenbach wurde von einem verschaukelten Spiel gesprochen. In der Tat konnte man den Zweifeln der Offenbacher beim Anblick dieses Spiels nur beipflichten. Einer der wenigen fleißigen Schalker an diesem Spieltag war Herbert »Aki« Lütkebohmert, der mit Schüssen aus der zweiten Reihe in der ersten Halbzeit nur Pfosten und Latte traf.
Doch je länger es 0:0 hieß, um so mehr taten sich gewaltige Lücken in der Schalker Abwehr auf. Klaus Fichtel musste zur Halbzeit mit einer Muskelzerrung ausgewechselt werden, Wittkamp spielte daraufhin den Ausputzer genauso schwach, wie er vorher im Sturm war. Seit Schalke Wittkamp zu verstehen gegeben hatte, dass man nicht bereit sei, seine Abwanderungsdrohungen durch dunkelbraune Geldscheine aus der Welt zu schaffen, war mit dem ehemaligen Schalker Torjäger einfach gar nichts mehr los. Im Tor hielt Dieter Burdenski, was er konnte; er vertrat den an einer Meniskusverletzung laborierenden Norbert Nigbur. In der 82. Minute aber schoss der Bielefelder Gerd Roggensack eine Fußabwehr des unter Dau-erbeschuss stehenden Burdenski ins Tor, ohne dass Galbierz rechtzeitig eingriff. »Nu sag bloß, die hätten kein Moos gekriegt, wo se so tofte verloren harn«, war der Ausspruch eines
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