Die Sprache der Macht
den USA belegte die politische Rechte fast alles, was ihr verabscheuungswürdig erschien, mit der Bezeichnung „liberal“. Liberal, das stand für Weichheit, Prinzipienlosigkeit und Nachsicht, vor allem gegenüber Straftätern. Liberale waren nicht patriotisch, sie glaubten nicht an Gott und sie waren arrogant; sie sahen auf die einfachen, ehrlichen Amerikaner herab. Liberal wurde zum Unwort. Der amerikanische Präsident George Bush sprach vieldeutig vom „L-word“. Ganz so, als würde er seinen Zuhörern die Schamröte ins Gesicht treiben, würde er diesen Begriff aussprechen (eine wohlkalkulierte Zweideutigkeit, denn das „L-word“ steht eben auch für „lesbian“, also „lesbisch“).
Dass dieser Begriff überhaupt so massiv unter Feuer genommen werden konnte, hat zwei Gründe: Einmal handelt es sich um eine böswillige Überzeichnung liberaler Positionen (zum Beispiel Resozialisierung statt drakonischer Strafen = Laschheit gegenüber Kriminellen). Dann aber konnte die Rechte auch auf kulturelle Stereotypen zurückgreifen. Dass sie dies mit einer beachtlichen Beharrlichkeit taten und immer wieder „die Liberalen“ zum Ziel ihrer Angriffe machten, blieb nicht ohne Wirkung: Bei vielen Amerikanern ist der Begriff „liberal“, fast möchte man sagen: nachhaltig ramponiert worden.
Auch in Deutschland bekam das Wort eine negative Bedeutung. Allerdings nur in Verbindung mit der Vorsilbe „neo“. Vermutlich weil das pure „L-Wort“ zu vielfältige und zu positive Konnotationen hat. Immerhin steht „Liberalität“ für Offenheit, Großzügigkeit und Toleranz; von der rechten bis zur linken Mitte wird sie gerne für sich in Anspruch genommen. „Neoliberal“ sind hingegen immer die andern.
„Neoliberal“
Ursprünglich bezeichnete „neoliberal“ eine Neubelebung des (wirtschaftlichen) Liberalismus Mitte des 20. Jahrhunderts. Als einer der bekanntesten Vertreter dieser Richtung gilt Ludwig Ehrhardt, der „Vater der sozialen Marktwirtschaft“. In den 1980er und 1990er Jahren wurde der Begriff für die Reformen von Ronald Reagan und Margaret Thatcher verwendet – und zwar ausschließlich von den Kritikern dieser Reformen. Seitdem ist „neoliberal“ mit folgenden Konnotationen verbunden: schwacher Staat, Privatisierung, Egoismus, das Recht des Stärkeren, wirtschaftliche Interessen gehen vor Gemeinwohl, die Reichen profitieren auf Kosten der Armen.
Hier soll es nicht darum gehen, wie berechtigt diese Kritik ist. Entscheidend ist vielmehr, dass der Begriff „neoliberal“ inhaltlich neu aufgeladen wurde, mit immer den gleichen negativen Konnotationen. So wurde er regelrecht zum politische Kampfbegriff. Die Vertreter „neoliberaler“ Politik verwendeten das Wort überhaupt nicht. Zum Beispiel, um es positiv zu besetzen. Im Gegenteil, und so ergibt sich eine doppelte Pointe: Ausgerechnet die politische Kraft, die in den USA und in Großbritannien „liberal“ zum unaussprechlichen Schmähwort erklärt hat, gilt hierzulande als Brutstätte des „Neoliberalismus“. Und der ursprünglich „neoliberale“ Ludwig Ehrhardt wird mit seinem Konzept von der „sozialen Marktwirtschaft“ zum Kronzeugen gegen den „Neoliberalismus“ erklärt.
Ein weiteres Verfahren, die Gegenseite abzuwerten: Man prägt einen Oberbegriff, mit dem man nicht nur die Gegenseite bezeichnet, sondern mindestens eine weitere Gruppe, die die Abneigung des Publikums auf sich zieht. Sie sperren Ihren Konkurrenten gewissermaßen mit einem anerkannten Schmuddelkind zusammen und erklären beide zu Brüdern. Auf diese Weise lässt sich jeder Journalist zum „oberflächlichen und sensationshungrigen Medienvertreter“ abstempeln. Einen Vertreter der Arbeitgeber rechnet man zu den „Wirtschaftsbossen“, einen Vertreter der Arbeitnehmer erklärt man zum linken „Gewerkschaftsfunktionär“. Es kommt nur darauf an, die Ressentiments des Publikums zu kennen und eine halbwegs nachvollziehbare Verbindung zu schaffen. Vor allem Kritiker werden mit dieser Methode gerne diskreditiert.
Begriffe durchsetzen
Die Macht der Begriffe wird vor allem dort augenfällig, wo es gelingt, ihren Gebrauch durchzusetzen und andere Begriffe zu verdrängen. Im sympathischsten Fall übernehmen die anderen den Ausdruck, weil er ihnen so treffend erscheint. Doch häufig werden Sprachregelungen mit mehr oder weniger subtilem Druck durchgesetzt. Der Leitwolf benutzt ein bestimmtes Vokabular; fast undenkbar, dass sein Rudel ihm da nicht folgt. Wer bei
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