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Die Sprache der Macht

Die Sprache der Macht

Titel: Die Sprache der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Noellke
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nicht fahren. Aus Sicht der betroffenen Autofahrer stellt dies ein „Fahrverbot“ dar. Auch wenn es dafür stichhaltige Gründe geben mag, ist dieser Begriff negativ belegt. Die Verantwortlichen sprechen daher lieber davon, sie hätten eine „Umweltzone“ eingerichtet. Wer sich dem Schutz der Umwelt verpflichtet fühlt, kann eine solche Maßnahme kaum ablehnen.
    Erscheint Ihnen hingegen ein bestimmtes Verhalten problematisch, bringen Sie die unerfreulichen Obertöne zum Klingen. Ein bewährtes Verfahren besteht darin, einen Begriff, der eigentlich positiv belegt ist, negativ aufzuladen. Im Deutschen gelingt dies besonders gut, weil wir einfach nur zwei Begriffe zusammenfügen müssen, um ein neues Exemplar zu erhalten.
    „Angstsparen“
    In der Wirtschaftskrise 2009 ging der private Konsum zurück. In dieser Situation tauchte in der öffentlichen Debatte der Begriff „Angstsparen“ auf. Er unterstellt, dass die Bürger mehr ausgeben könnten (und sollten), dies aber nicht tun, weil sie irrationale Ängste haben. Der positiv besetzte Begriff „Sparen“ (im Sinne von vorsorgen, maßhalten, verantwortungsvoll mit den Ressourcen umgehen) wird durch die „Angst“ ins Negative gewendet. „Angstsparen“ ist bedrohlich. Denn wie in diesem Zusammenhang stets betont wird, würgt „Angstsparen“ eine mögliche „wirtschaftliche Erholung ab“.
    Der Begriff funktioniert auch deshalb so gut, weil er sich an andere „Ängste“ anschließen lässt, die „den Deutschen“ in der Vergangenheit nachgesagt wurden: Angst vor dem „Waldsterben“, Angst vor einem Atomkrieg, es gab das Schlagwort von der „German Angst“, die uns angeblich gelähmt hat. Solche Konnotationen sind wichtig, denn sie machen den neuen Begriff überhaupt erst plausibel.
    Das schließt nicht aus, dass es Konnotationen gibt, die geradewegs das Gegenteil zum Inhalt haben und die dennoch genutzt werden können – vor ein und demselben Publikum. Wir können uns die Sache so vorstellen wie bei einer Mindmap: Im Zentrum steht der Begriff, von dem in alle Richtungen sehr verschiedene Konnotationen abzweigen, die miteinander gar nicht viel zu tun haben müssen. Damit die Konnotation funktioniert, müssen Sie die in aller Regel irgendwie „anknipsen“ (→ S. 26, Sprache der Macht im Alltag). Und das tun Sie, indem Sie weitere Begriffe benutzen, die in diese Richtung weisen.
    „Aufbau Ost“
    Ein Begriff wie „die Deutschen“ verfügt über eine Fülle von Konnotationen, etwa Disziplin, Exportüberschuss, Romantik, Organisationstalent, (übertriebenes) Sicherheitsdenken, Drittes Reich oder Wirtschaftswunder, eine Konnotation, die sich etwa der Begriff „Aufbau Ost“ zunutze macht. Die Deutschen haben es in den „Aufbaujahren“ nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft, ein „Wirtschaftswunder“ zu vollbringen, Zumindest im Westen. Daher ist es plausibel, dass „den Deutschen“ mit dem „Aufbau Ost“ ein zweites „Wirtschaftswunder“ gelingt.
    Es ist völlig unerheblich, ob die Eigenschaften, auf die Sie anspielen, in Widerspruch zueinander stehen – solange nur die Konnotationen nachvollziehbar sind. So können Sie vor ein und dem selben Publikum sowohl vom „Angstsparen“ als auch vom „Aufbau Ost“ sprechen und in beiden Fällen Zustimmung finden.
    Enge und lose Verbindungen
    Das bedeutet aber keineswegs, dass Konnotationen sich nach Gutdünken ein- und ausknipsen lassen. Konnotationen haben einen unterschiedlichen Stellenwert. Das heißt, es gibt welche, die einem sofort in den Sinn kommen, wenn man ein bestimmtes Wort hört, vor allem in einem bestimmten Kontext. Andere Konnotationen liegen etwas ferner, sie sind nur lose mit dem Begriff verbunden und wirken daher blasser. Sie können durchaus von den starken Konnotationen überstrahlt werden. Auf diese Weise kann ein Begriff auch schon mal in eine Schieflage geraten.
    „Spätrömische Dekadenz“
    Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle forderte im Februar 2010 eine Neuausrichtung der Sozialpolitik. In einem Zeitungsbeitrag schrieb er: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Die Konnotationen, die Westerwelle im Sinn gehabt haben mag, waren „Niedergang“ und „Nichtstun“. Doch eine dritte drängt sich einem nicht weniger auf: Spätrömische Dekadenz betrifft die Oberschicht. Vor unserem geistigen Auge sehen wir eben nicht das römische Pendant des Hartz-IV-Empfängers sich auf dem Ruhepolster räkeln,

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