Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Springflut: Roman (German Edition)

Die Springflut: Roman (German Edition)

Titel: Die Springflut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cilla Börjlind , Rolf Börjlind
Vom Netzwerk:
Sessel platziert, über den eine Stehlampe aus der Zeit des Ersten Weltkriegs geneigt stand. Dort saß er mit einem Buch auf dem Schoß. Kater Klas im Wilden Westen .
    »Beckett in Comicform«, wie Ronny Redlös behauptete.
    Er schlug das Buch zu und sah den Mann an, der ein paar Meter entfernt auf einem schlichten Stuhl saß. Der Mann war obdachlos und hieß Tom Stilton. Der Antiquar bekam oft Besuch von Obdachlosen. Er hatte ein großes Herz und verfügte über gewisse finanzielle Mittel, die es ihm erlaubten, die Bücher anzukaufen, die im Altpapier oder in Müllcontainern oder sonstwo gefunden wurden. Er fragte nie, zahlte ein paar Kronen pro Buch und half so einem Obdachlosen. Oft warf er die Bücher nachts in irgendeinen Container, nur um eine Woche später dieselben Bücher erneut angeboten zu bekommen.
    So ging es immer weiter.
    »Ich muss mir einen Mantel leihen«, sagte Stilton.
    Er kannte Ronny Redlös seit vielen Jahren, nicht erst, seitdem er obdachlos war. Zum ersten Mal begegnet waren sie sich, als Stilton noch bei der Flughafenpolizei arbeitete und er zwei von Ronnys Mitreisenden nach einem Rückflug aus Island in Gewahrsam nehmen musste. Der Antiquar hatte damals eine kleine Gruppenreise zum Penismuseum in Reykjavík organisiert, und zwei seiner Reisegefährten hatten auf dem Heimweg etwas zu viel getankt.
    Der Buchhändler allerdings nicht.
    Er trank nur einmal im Jahr Alkohol, aber dann betrank er sich dafür gründlich. Wenn sich der Tag jährte, an dem seine Freundin im Hammarby-Hafen im Eis eingebrochen und ertrunken war. Am Jahrestag ihres tödlichen Unfalls ging Ronny zu dem Kai hinunter, an dem sie auf die Eisscholle gesprungen war, und betrank sich bis zur Bewusstlosigkeit. Ein Ritual, das seinen Freunden bekannt war, so dass sie sich hüteten, ihn dabei zu stören. Sie blieben jedoch in der Nähe, bis Ronny völlig blau war. Dann schafften sie ihn in sein Antiquariat und legten ihn im Hinterzimmer ins Bett.
    »Du brauchst einen Mantel?«, sagte Ronny.
    »Ja.«
    »Beerdigung?«
    »Nein.«
    »Ich habe nur einen schwarzen.«
    »In Ordnung.«
    »Du hast dich rasiert.«
    »Ja.«
    Stilton hatte sich rasiert und einen Teil seiner Haarpracht abgeschnitten. Nicht sonderlich gekonnt, aber immerhin so, dass die Haare nicht überall herumhingen. Jetzt benötigte er einen Mantel, um halbwegs anständig auszusehen. Und etwas Geld.
    »Wie viel denn?«
    »Genug für eine Zugfahrkarte nach Linköping.«
    »Was hast du dort vor?«
    »Einer jungen Frau helfen.«
    »Wie jung?«
    »Dreiundzwanzig.«
    »Verstehe. Einen Augenblick!«
    Ronny Redlös verschwand in einem Hohlraum und kehrte mit seinem schwarzen Mantel und einem Fünfhunderter zurück. Stilton probierte den Mantel an. Er war zwar ein bisschen kurz, aber es ging noch.
    »Wie geht es Benseman?«
    »Schlecht«, antwortete Stilton.
    »Seine Augen haben nichts abbekommen?«
    »Ich glaube nicht.«
    Benseman und Ronny Redlös hatten wesentlich mehr gemeinsamen Gesprächsstoff als Stilton und der Antiquar. Benseman war belesen, das war Stilton nicht. Andererseits war Stilton kein Alkoholiker.
    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du wieder ein bisschen Kontakt zu Abbas hast«, erklärte Ronny Redlös.
    »Woher weißt du das?«
    »Kannst du das hier für ihn mitnehmen.«
    Der Antiquar hielt ihm ein dünnes, nicht gebundenes Buch hin.
    »Er wartet seit fast einem Jahr darauf, ich habe es erst vor ein paar Tagen für ihn auftreiben können, es heißt Erinnerung der Freunde , es sind sufische Gedichte in der Übersetzung Eric Hermelins.«
    Stilton nahm das Buch an, las den Text auf dem Titelblatt, Shaikh’Attar, »Aus dem Tazkiratú’l-Awliyã I«, und steckte es in die Innentasche des Mantels.
    Als Gegenleistung.
    Immerhin hatte er einen Mantel und fünfhundert Kronen bekommen.
    *
    Marianne Boglund ging auf die Gartenpforte ihres weißen Reihenhauses am Stadtrand von Linköping zu. Es war fast sieben, und aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass auf der anderen Straßenseite jemand an eine Straßenlaterne gelehnt stand. Ihr Licht fiel auf einen hageren Mann, dessen Hände in den Taschen eines etwas zu kurzen, schwarzen Mantels steckten. Das gibt es nicht, dachte sie, obwohl sie bereits wusste, wer es war.
    »Tom?«
    Ohne sie aus den Augen zu lassen, überquerte Stilton die Straße. Zwei Meter vor ihr blieb er stehen. Marianne Boglund redete nicht lange um den heißen Brei herum.
    »Du siehst grauenhaft aus.«
    »Dann hättest du mich mal heute Morgen sehen

Weitere Kostenlose Bücher