Die Springflut: Roman (German Edition)
sollen.«
»Lieber nicht. Wie geht es dir?«
»Gut. Du meinst, von wegen …«
»Ja.«
»Gut … oder sagen wir besser.«
Sie sahen sich kurz an. Keiner von ihnen hatte Lust, sich in Toms Krankheit zu vertiefen, vor allem Marianne nicht und erst recht nicht auf der Straße vor ihrem Haus.
»Was willst du?«
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Geht es um Geld?«
»Geld?«
Stilton warf ihr einen Blick zu, der schmerzte. Das war nicht sehr feinfühlig gewesen.
»Hierbei brauche ich deine Hilfe.«
Stilton fischte eine kleine Plastiktüte mit der Haarspange von Nordkoster aus der Tasche.
»Was ist das?«
»Eine Haarspange mit einem Haar. Ich benötige eine DNA -Analyse. Können wir vielleicht ein paar Schritte gehen?«
Stilton machte eine einladende Geste. Marianne drehte sich halb zu dem Reihenhaus um und sah, dass sich darin ein Mann durch die halb dunkle Küche bewegte. Hatte er sie gesehen?
»Es dauert nicht lange.«
Stilton ging los. Marianne blieb stehen. Das war so typisch für Tom, er tauchte aus heiterem Himmel als menschliches Wrack auf und ging anschließend ganz selbstverständlich davon aus, dass er wieder das Kommando übernehmen konnte.
»Tom.«
Stilton drehte sich um.
»Was immer du von mir willst, das ist die falsche Art, es zu bekommen.«
Stilton blieb stehen. Er sah Marianne an, senkte leicht den Kopf und hob ihn dann wieder.
»Entschuldige. Ich bin ein bisschen aus der Übung.«
»Das sieht man.«
»Was zwischenmenschliche Umgangsformen angeht, meine ich. Ich bitte um Entschuldigung. Ich brauche wirklich deine Hilfe. Du entscheidest. Wir können uns hier oder später unterhalten oder …«
»Wofür brauchst du diese DNA -Analyse?«
»Um sie mit der DNA aus dem Ufermord auf Nordkoster vergleichen zu können.«
Stilton wusste, dass dies Wirkung zeigen würde. Marianne hatte während der gesamten Ermittlungen zu dem Fall mit Tom zusammengelebt. Sie wusste, wie sehr er sich hineingekniet hatte und was das ihn und sie gekostet hatte. Und jetzt beschäftigte er sich offenbar wieder damit. In einer körperlichen Verfassung, die sie in einem Teil ihres Inneren sehr bedrückte, was sie allerdings aus verschiedenen Gründen verdrängte.
»Erzähl.«
Ohne darüber nachzudenken, hatte Marianne sich in Bewegung gesetzt. Als sie auf der Höhe von Stilton war, begann er zu erzählen. Dass diese Haarspange am Abend des Mordes gefunden worden und in der Schatzkiste eines kleinen Jungen gelandet sei, in der er sie plötzlich vor ein paar Tagen entdeckt und einer jungen angehenden Polizistin namens Olivia Rönning übergeben habe.
»Rönning?«
»Ja.«
»Die Tochter von …«
»Ja.«
»Und jetzt willst du wissen, ob es eine Übereinstimmung zwischen der Spange und der DNA des Opfers auf Nordkoster gibt?«
»Ja. Kannst du das überprüfen?«
»Nein.
»Kannst du oder willst du nicht?«
»Pass gut auf dich auf.«
Marianne drehte sich um und ging wieder auf das Reihenhaus zu. Stilton sah ihr nach. Würde sie sich umdrehen? Das tat sie nicht. Das hatte sie nie getan. Wenn ihre Entscheidung einmal gefallen war, dann war sie gefallen, basta. Das wusste er.
Aber er hatte es wenigstens versucht.
»Wer war das?«
Marianne hatte die Frage auf dem Rückweg zum Haus bereits in Gedanken durchgespielt. Sie wusste, dass Tord durch das Küchenfenster gesehen hatte, dass sie weggegangen war. Sie wusste, dass ihr die Frage nicht erspart bleiben würde.
»Tom Stilton.«
»Ach wirklich? Er war das also. Was wollte er hier?«
»Meine Hilfe bei einer DNA -Probe haben.«
»Ich denke, er ist nicht mehr bei der Polizei?«
»Stimmt.«
Marianne hängte ihren Mantel an ihren Haken. Jedes Familienmitglied hatte seinen eigenen Haken, die Kinder genau wie Tord und sie. Es waren Tords Kinder aus seiner ersten Ehe, Emelie und Jacob. Sie liebte die beiden, genau wie Tords Vorliebe für Ordnung, auch im Flur. So war er einfach. Alles an seinem Platz und keine Experimente im Bett. Er war Sportwart. Durchtrainiert, ausgeglichen, versiert. In vieler Hinsicht ein jüngerer Stilton.
In vieler Hinsicht auch wieder nicht.
Ihm fehlten die Eigenschaften, die sie damals dazu gebracht hatten, sich Hals über Kopf in einen Morast aus Leidenschaft und Chaos zu stürzen, und die sie schließlich, achtzehn Jahre später, veranlasst hatten, aufzugeben und Stilton zu verlassen.
»Es war eine private Bitte um Hilfe«, erläuterte sie.
Tord blieb abwartend im Türrahmen stehen. Ihm war mit Sicherheit bewusst, dass ihre Liebe
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