Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Springflut: Roman (German Edition)

Die Springflut: Roman (German Edition)

Titel: Die Springflut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cilla Börjlind , Rolf Börjlind
Vom Netzwerk:
und die vielen Bekannten und Unbekannten, die laufend in ihr Haus einfielen und Essen und Feste haben wollten. Es blieb fast immer Mårten überlassen, dann in der Küche den Überblick zu behalten. Er liebte das.
    Aber zwischendurch musste er sich verkriechen.
    Deshalb hatte er sich vor vielen Jahren seine Höhle eingerichtet und allen klargemacht, dass dieser Raum seine Privatsphäre war. Von da an hatte er im Laufe der Jahre Kindern und Enkelkindern klarmachen müssen, was er unter einer Privatsphäre verstand.
    Einen Raum, der ihm allein gehörte und den keiner betrat, der nicht ausdrücklich eingeladen war.
    Und weil Mårten seiner Familie so viel bedeutete, wurde sein Wunsch erhört.
    Er bekam seine kleine Höhle im Keller, in der er sich an die Vergangenheit erinnern und der Nostalgie und Sentimentalität hingeben konnte. In ihr durfte er seiner Trauer über alles nachgeben, was Verzweiflung in seine Lebensbahn gebracht hatte. Und wenn man ins Rentenalter kam, war das so einiges.
    Er pflegte diese Trauer.
    Außerdem gönnte er sich ab und zu heimlich ein Gläschen. In den letzten Jahren kam das zwar seltener vor, aber manchmal musste es einfach sein, um Kontakt zu dem zu bekommen, was Abbas im Sufismus suchte. Zu dem, was hinter der nächsten Ecke verborgen lag.
    Das konnte nicht schaden.
    In besonders beschwingten Nächten sang er im Duett mit sich selbst.
    Dann verkroch Kerouac sich in seinem Spalt.
    Als Olivia plötzlich vor der großen Holztür stand und klingelte, wusste sie immer noch nicht genau, warum sie gekommen war.
    Sie war einfach da.
    »Hallo!«, sagte Mårten.
    Er öffnete in einem Aufzug, den eine junge Frau aus Olivias Generation wohl kaum als Hippiekleidung wiedererkennen würde. Ein bisschen orange, ein bisschen rot und ein bisschen alles Mögliche umwallten Mårtens üppigen Körper. Er hielt einen Teller in der Hand, den Mette getöpfert hatte.
    »Hallo. Ich … ist Mette zu Hause?«
    »Nein. Reiche ich Ihnen etwa nicht? Kommen Sie herein!«
    Mårten ging vor, und Olivia folgte ihm. Diesmal war niemand in die obere Etage verwiesen worden. Das Haus wimmelte von Kindern und Enkelkindern. Die Tochter Janis wohnte mit Mann und Kindern in einem eigenen, kleineren Haus auf demselben Grundstück und betrachtete das Elternhaus als ihres. Zwei andere Kinder, oder eher Enkelkinder, wie Olivia annahm, liefen in eigens für sie genähten Kostümen herum und beschossen sich mit Wasserpistolen. Mårten winkte an einer Tür stehend Olivia zu sich, der es mit Mühe und Not gelang, zwei Wasserstrahlen auszuweichen, bevor sie bei ihm war. Mårten schloss die Tür hinter ihnen.
    »Es ist ein bisschen trubelig«, sagte er lächelnd.
    »Ist es immer so?«
    »So trubelig?«
    »Ja, ich meine, sind hier immer so viele Leute?«
    »Immer. Wir haben fünf Kinder und neun Enkelkinder. Und Ellen.«
    »Wer ist das?«
    »Meine Mutter. Sie ist zweiundneunzig und wohnt auf dem Dachboden. Ich habe ihr gerade einen Teller Tortellini gemacht. Kommen Sie mit!«
    Mårten führte Olivia über Wendeltreppen in die oberste Etage.
    »Wir haben ihr hier ein Zimmer eingerichtet.«
    Mårten öffnete die Tür zu einem hellen und kleinen, spärlich möblierten Zimmer, das ganz anders war als die Räumlichkeiten zwei Etagen darunter. Ein weißes Eisenbett, ein kleiner Tisch und ein Schaukelstuhl, in dem eine sehr alte Frau mit schlohweißen Haaren saß und mit einer sehr schmalen Strickarbeit beschäftigt war, die sich meterlang über den Fußboden ringelte.
    Olivia betrachtete die lange, schmale Strickarbeit.
    »Sie glaubt, dass sie ein Gedicht strickt«, flüsterte Mårten ihr zu. »Jede linke und rechte Masche bilden zusammen eine Strophe.«
    Er wandte sich seiner Mutter zu.
    »Ellen, das ist Olivia.«
    Die Frau blickte von ihrem Strickzeug auf und lächelte.
    »Sehr gut«, sagte sie.
    Mårten ging zu ihr und tätschelte ihre Wange.
    »Mama ist ein bisschen dement«, flüsterte er.
    Ellen strickte weiter. Mårten stellte den Teller neben ihr ab.
    »Ich werde Janis bitten, hochzukommen und dir zu helfen, Mama.«
    Ellen nickte. Mårten drehte sich zu Olivia um.
    »Möchten Sie ein Glas Wein?«
    Sie landeten in einem der vielen Zimmer im Erdgeschoss, dessen Tür das Lärmen der Kinder fast vollständig ausschloss.
    Und tranken Wein, was Olivia sonst eigentlich nur tat, wenn sie, wie bei ihrer Mutter, dazu eingeladen wurde. Ansonsten blieb sie bei Bier. Nach zwei Gläsern eines Tropfens, den Mårten als ausgesprochen preisgünstigen

Weitere Kostenlose Bücher