Die Springflut: Roman (German Edition)
Kontakt zu dem Mordopfer habe ungefähr siebenundzwanzig Jahre zurückgelegen, ist das korrekt?«
»Ja.«
Magnuson war von einem Streifenwagen in seinem Büro am Sveavägen abgeholt und die kurze Strecke bis zum Präsidium in der Polhemsgatan chauffiert worden. Er war auffallend ruhig. Mette registrierte ein äußerst markantes Herrenparfüm und den leichten Dufthauch eines Zigarillos. Sie setzte eine schlichte Lesebrille auf und studierte das Blatt vor sich.
»Am Montag, den 13. Juni, hat Nils Wendt um 11.23 Uhr von seinem Handy aus ein Handy mit dieser Nummer angerufen.«
Mette hielt ein Blatt vor Magnuson hoch.
»Ist das Ihre Handynummer?«
»Ja.«
»Das Gespräch dauerte elf Sekunden. Am selben Abend ist diese Nummer um 19.32 Uhr wieder von Wendts Handy aus angerufen worden. Das Gespräch dauerte neunzehn Sekunden. Am nächsten Abend, Dienstag, den 14., folgte das nächste Gespräch, das ungefähr genauso lange dauerte, zwanzig Sekunden. Vier Tage später, am Samstag, den 15. Juni, um 15.45, erfolgte ein weiterer Anruf Nils Wendts auf das gleiche Handy, ihr Handy. Dieses Telefonat dauerte etwas länger, eine gute Minute.
Mette setzte ihre Brille ab und betrachtete den Mann vor sich.
»Worum ging es in diesen Gesprächen?«
»Das waren keine Gespräche. Ich bin zu den von Ihnen genannten Zeiten angerufen worden, habe mich gemeldet und keine Antwort bekommen. Am anderen Ende der Leitung blieb es still, und dann wurde die Verbindung unterbrochen. Ich bin davon ausgegangen, dass jemand anonym bleiben und mir Angst einjagen oder das Gefühl geben wollte, dass ich bedroht werde. In der letzten Zeit hat es ja einige Aufregung um unser Unternehmen gegeben, wie sie vielleicht wissen.«
»Das weiß ich. Das letzte Gespräch war länger?«
»Ja, das … also ehrlich gesagt bin ich wütend geworden, es ist das vierte Mal gewesen, dass mich jemand angerufen und dann nichts gesagt hat, also habe ich selbst ein paar deutliche Worte dafür gefunden, was ich von dieser erbärmlichen Art halte, andere Leute einzuschüchtern, und danach selbst die Verbindung unterbrochen.«
»Sie hatten also keine Ahnung, dass es Nils Wendt war, der sie angerufen hat?«
»Nein. Woher sollte ich das wissen? Der Mann ist siebenundzwanzig Jahre lang verschwunden gewesen.«
»Wissen Sie, wo er sich in dieser Zeit aufgehalten hat?«
»Keine Ahnung. Wissen Sie es?«
»Er hatte seinen Wohnsitz in Mal Pais in Costa Rica. Sie hatten keinen Kontakt zu ihm?«
»Nein, ich habe ihn für tot gehalten.«
Magnuson hoffte inständig, dass seine Mimik nicht verriet, was ihm gerade durch den Kopf ging. Mal Pais? Costa Rica? Das musste der unbekannte Ort sein, an dem sich die Originalaufnahme befand!
»Ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie Stockholm in der nächsten Zeit nicht verlassen würden.«
»Heißt das, für mich gilt ein Reiseverbot?«, fragte Magnuson.
»Das ist definitiv nicht der Fall«, ergriff seine Anwältin plötzlich das Wort.
Magnuson konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, das allerdings schnell verschwand, als er Mettes Blick sah. Hätte er ihre Gedanken lesen können, wäre es wahrscheinlich noch schneller verschwunden.
Mette Olsäter war sich nämlich sicher, dass er log.
*
Vor nicht allzu langer Zeit wimmelte es rund um den Platz Nytorget im Stadtteil Södermalm von vielen kleinen, ungewöhnlichen und originellen Geschäften, deren Besitzer oft genauso ungewöhnlich und originell waren. Die meisten von ihnen verschwanden jedoch, als neue Einwohner mit anderen Ansprüchen die Gegend in Besitz nahmen und in einen Laufsteg für Hipster verwandelten. Inzwischen hielt sich nur noch eine Handvoll der ursprünglichen Geschäfte über Wasser, die vor allem als Kuriositäten und pittoreske Elemente im Straßenbild wahrgenommen wurden. Eins von ihnen war ein kleines Antiquariat, das von einem Mann namens Ronny Redlös geführt wurde. Es lag dem Haus des legendären Fußballspielers Nacka Skoglund in der Katarina Bangata gegenüber. Dort lag es, als Nacka geboren wurde, als er lebte und als er starb, und dort lag es auch heute noch.
Ronny Redlös hatte es von seiner Mutter übernommen.
Das Antiquariat sah aus, wie überlebende Antiquariate dieser Art im Allgemeinen aussehen. Überfüllt. Bis zur Decke vollgestopft mit Regalen und Bücherstapeln auf Tischen und Schemeln. »Ein herrliches Tohuwabohu aus Kostbarkeiten«, wie es auf einem kleinen Schild im Schaufenster stand. Ronny hatte an einer Wand einen durchgesessenen
Weitere Kostenlose Bücher