Die Springflut: Roman (German Edition)
Ecke.«
Stilton betrachtete Abbas, aber als dieser den Mund öffnete, um einem vollkommenen Ignoranten klarzumachen, dass es darauf ankam, die eingerostete Denkfähigkeit zu ölen, rief der Nerz an, der vorher wiederum Olivia angerufen hatte, um Stilton zu sprechen, und von ihr Abbas’ Nummer bekommen hatte.
»Einen Augenblick.«
Abbas reichte sein Handy an Stilton weiter. Der Nerz sprach leise.
»Ich stehe in einem Krankenhausflur. Acke ist zusammengeschlagen worden.«
Da er in den letzten vierundzwanzig Stunden genug eigene Probleme hatte durchstehen müssen, wusste Stilton davon noch nichts, aber seine analytische Gehirnhälfte war auf dem Weg der Besserung, so dass er sofort eine Verbindung zwischen dem Überfall auf Acke und Veras niedergebranntem Wohnwagen herstellte. Kid Fighters.
»Kid Fighters?«, erkundigte sich Abbas, als Stilton ihm das Handy zurückgab.
Stilton holte Abbas schnell aus seiner Welt hinter der nächsten Ecke in eine wesentlich konkretere Wirklichkeit voller misshandelter Kinder, ermordeter Obdachloser und niedergebrannter Wohnwagen zurück. Und zu seiner eigenen Jagd auf die Männer, die in den Schlagzeilen die Handymörder genannt wurden.
»Sag mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.«
Der Mann mit den Messern lächelte.
*
Bertil Magnuson lächelte nicht. In seinem schnell zunehmenden Whiskyrausch versuchte er, sich einen Reim auf alles zu machen, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Er begriff weder was Wendt eigentlich von ihm gewollt noch was er mit »Rache« gemeint hatte, aber letztlich spielte das jetzt auch keine Rolle mehr. Er war am Ende.
Da er Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Cedergren’schen Turms war, der die Bewahrung des alten Kulturdenkmals unterstützte, hatte man ihm einen Schlüssel zum Turm anvertraut, den er mit etwas linkischer Mühe aus einer der hübschen kleinen Perlmuttschachteln seiner Frau auf der Kommode im Flur heraussuchte. Anschließend öffnete er seinen privaten Safe.
*
Mette Olsäter und ihre engsten Mitarbeiter saßen konzentriert in ihrem Ermittlungsraum im Gebäude der Landeskriminalpolizei. Zwei Frauen und drei Männer hatten sich um einen Kassettenrekorder mit einer alten Aufnahme eines Gesprächs versammelt, die sie sich inzwischen zum dritten Mal anhörten.
»Das ist Magnusons Stimme.«
»Zweifellos.«
»Wer ist der andere?«
»Seinem eigenen Brief zufolge Nils Wendt.«
Mette betrachtete die Tafel an der Wand. Die Fotos vom Tatort am Ufer von Kärsön. Von der Leiche Nils Wendts. Die Karten von Costa Rica und Nordkoster und zahlreiche andere Bilder.
»Dann wissen wir jetzt wohl, worum es in den kurzen Anrufen Wendts gegangen ist.«
»Wahrscheinlich um eine Erpressung.«
»Mit Hilfe dieser Kassette.«
»Auf der Magnuson zugibt, dass er einen Mord in Auftrag gegeben hat.«
»Bleibt die Frage, welche Forderungen Wendt gestellt hat?«
»Geld?«
»Vielleicht. In dem Brief, den er in Mal Pais geschrieben hat, heißt es, er wolle nach Nordkoster fahren, um nach dem Geld zu suchen, das er dort versteckt hatte …«
»… und da er einen leeren Koffer zurückließ, hat er dort kein Geld gefunden?«
»Genau.«
»Aber es muss nicht unbedingt um Geld gegangen sein«, warf der junge und begabte Bosse Thyrén ein.
»Nein.«
»Könnte es nicht auch eine Art Rache gewesen sein, bei der es um etwas ganz anderes ging?«
»Diese Frage kann uns nur Bertil Magnuson beantworten.«
Mette stand auf und wies ihre Mitarbeiter an, Bertil Magnuson zu verhaften.
*
Im Cedergren’schen Turm war es für einen normalen Menschen sehr dunkel und still. Oder vielmehr für einen Menschen im Normalzustand, in dem Bertil Magnuson definitiv nicht war. Er hielt eine kleine Taschenlampe in der Hand und stieg in den obersten Teil des Gebäudes hinauf, ins Turmzimmer, jenen kargen, schmucklosen Raum mit Backsteinwänden, der nur ein paar kleine Luken zur Welt besaß, einer Welt, die vor Kurzem noch ihm gehört hatte.
Er war der Mann gewesen, der Coltanerz abgebaut und der Welt der Elektronik Tantal geliefert hatte, das die Grundlage für die interaktive Expansion bildete.
Bertil Magnuson.
Ab heute verantwortlich für einen Mord.
Doch daran dachte er nicht, als er sich mit Hilfe seines kleinen Maglites auf der engen Steintreppe hochtastete. Da er betrunken war, musste er sich immer wieder an den Backsteinwänden abstützen.
Stattdessen dachte er wieder an Linn, an die Schande und daran, ihr ins Gesicht sehen und ihr sagen zu
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