Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Springflut: Roman (German Edition)

Die Springflut: Roman (German Edition)

Titel: Die Springflut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cilla Börjlind , Rolf Börjlind
Vom Netzwerk:
müssen: »Es ist wahr. Jedes einzelne Wort auf dieser Kassette entspricht der Wahrheit.«
    Das würde er niemals ertragen.
    Und deshalb war er hier.
    Als er sich endlich bis ins Turmzimmer hochgekämpft hatte, war er jenseits aller Empfindungen. In dem Raum war es unangenehm dunkel und feucht, aber das machte ihm nichts aus. Er tastete sich zur nächstgelegenen kleinen Luke vor, zog seine graue Pistole aus der Tasche und steckte sie sich in den Mund. Dann sah er hinaus und hinunter.
    Das hätte er vielleicht nicht tun sollen.
    Tief unter ihm, in direkter Blickrichtung von seiner Luke, sah er Linn auf die große Veranda hinaustreten. Ihr hübsches Kleid. Ihre Haare, die so schön auf die Schultern fie len. Ihr schlanker Arm, der nach der fast leeren Whisky flasche griff und sie anhob, und ihr Kopf, der sich leicht erstaunt ein wenig drehte und dann hochblickte.
    Zum Cedergren’schen Turm.
    Dann begegneten sich ihre Blicke, wie sie es manchmal über weite Distanzen hinweg in dem Bemühen tun, einander zu erreichen.
    Mette und ihre Mitarbeiter erreichten Magnusons Anwesen mit hoher Geschwindigkeit. Sie stiegen aus und näherten sich der hell erleuchteten Villa. Da ihnen auch nach mehrmaligem Klingeln niemand öffnete, gingen sie um das Haus herum auf die Veranda. Die Tür zum Haus stand offen, und auf der Veranda lag eine leere Schnapsflasche.
    Wie lange sie dort gesessen hatte, wusste sie nicht. Zeit spielte keine Rolle mehr. Sie hielt den zerschossenen Kopf ihres Mannes im Schoß ihres kirschfarbenen Kleids. Teile seines Gehirns hatten die gegenüberliegende Backsteinwand getroffen.
    Der erste Schock, den sie bekam, als sie den Schuss aus dem Turm hörte und sah, wie Bertils Gesicht aus der Luke verschwand, hatte sie in Panik in das Gebäude rennen lassen.
    Der zweite Schock, als sie die Treppe hochkam und ihn sah, war ebenfalls abgeklungen. Jetzt war sie von allem abgekoppelt, in einem neuen Zustand, langsam unterwegs zur Trauer. Ihr Mann hatte sich erschossen. Er war tot. Vorsichtig strich sie über Bertils kurze Haare. Ihre Tränen tropften auf sein dunkles Jackett. Sie zupfte ein wenig an seinem blauen Hemd mit dem weißen Kragen. Bis zuletzt, dachte sie, hob den Kopf und schaute durch die kleine Luke zu ihrer Villa hinunter. Streifenwagen in der Einfahrt? Fremde Menschen auf der Veranda? Sie begriff nicht ganz, wer diese dunkel gekleideten Leute waren, die sich dort unten bewegten. Sie sah eine dicke Frau, die ein Handy herauszog, und Sekunden später klingelte Bertils Handy in seinem Jackett. Sie zog es heraus. Einen seltsamen, klingelnden Gegenstand hielt sie da in der Hand. Sie nahm das Gespräch an, lauschte und antwortete.
    »Wir sind im Turm.«
    Mette und die anderen waren schnell bei ihr und stellten mindestens genauso schnell fest, dass Bertil Magnuson tot war und seine Frau unter Schock stand. Theoretisch bestand natürlich die Möglichkeit, dass Magnuson von seiner Frau erschossen worden war, aber angesichts der Vorgeschichte und der Situation im Turm erschien ihnen dies wenig wahrscheinlich.
    Das Ganze war einfach nur tragisch.
    Mette betrachtete das Ehepaar Magnuson. Wenn es um Schuld und Sühne ging, war sie nicht besonders emotional veranlagt, und ihr Mitgefühl galt deshalb ganz der Ehefrau. Für Bertil Magnuson empfand sie dagegen nichts als einen Anflug polizeilicher Enttäuschung.
    Das Mitgefühl für seine Frau ließ sie etwas später in der Villa dennoch Auskunft geben. Linn Magnuson hatte ein Beruhigungsmittel bekommen und sie gebeten, ihr zu erklären, was eigentlich passiert war. Warum sie da waren und ob ihre Anwesenheit etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun hatte. Also erzählte Mette ihr möglichst schonend ausgewählte Teile der Geschichte. Sie war der Meinung, dass die Wahrheit am besten heilte, auch wenn sie einen im ersten Moment quälte. Es wäre zu viel verlangt gewesen von Linn Magnuson, voll und ganz zu verstehen, worum es ging, denn das begriff selbst Mette im Moment noch nicht. Trotzdem lieferte die Aufnahme des Gesprächs eine Erklärung für den Selbstmord ihres Mannes.
    Und auf dem Band war es um einen Mord gegangen.

B ertil Magnusons Selbstmord war rasch überall in den Schlagzeilen, vor allem im Internet.
    Zu den ersten, die auf seinen Tod reagierten, gehörte Erik Grandén. In einem furiosen Wutausbruch twitterte er seine Empörung über die Hetzjagd, die in der letzten Zeit auf Bertil Magnuson stattgefunden habe. Eine der schädlichsten Kampagnen gegen einen Einzelnen

Weitere Kostenlose Bücher