Die Spur der Hebamme
Es ist meine Schuld, dass wir es erst jetzt erfahren«, meinte sie bedrückt. Doch Christian war schon auf dem Weg zum Nicolai-Viertel.
Der Ritter erntete ehrfürchtige Blicke, als er das Haus des Gewandschneiders betrat. »Hol deinen Meister und lass uns allein«, befahl er dem Lehrjungen, der sofort kehrtmachte und verschwand.
Wenig später tauchte Meister Anselm auf und begrüßte ihn wortreich.
»Spart Euren Atem«, unterbrach ihn Christian barsch und beugte sich über den langen Tisch, auf dem Anselm die Stoffe zuschnitt.
»Ihr werdet ab sofort Euren Freund, den Dorfschulzen, dazu bringen, dass er mehr Gerechtigkeit walten lässt. Und es ist mir gleich, wie Ihr das tut. Kommt mir nur noch eine einzige Klage zu Ohren, erzähle ich allen, welche Schändlichkeit Ihr Eurem Mündel angetan habt!«
Der Gewandschneider erbleichte und fing an zu stammeln. »Aber ich habe kein Mündel …«
Christian packte Anselm mit beiden Händen am vornehmen Obergewand und zog ihn zu sich. »Du hast keines mehr, du Bastard, weil du das Mädchen in dein Bett gezwungen und sie dann auf die Straße gejagt hast, als sie schwanger wurde. Nur weil es gleich nach deiner Ankunft hier geschehen ist, hat keiner von den Nachbarn bemerkt, dass plötzlich jemand in diesem Haushalt fehlte.«
In seinem Zorn musste er sich zurückhalten, um den Mann nicht niederzuschlagen. »Du solltest Vaterstelle bei ihr vertreten, stattdessen hast du sie zu einer Hure gemacht!«
Angewidert ließ er ihn los, und Anselm wäre beinahe zu Boden gestürzt.
Christian ging zur Tür, doch bevor er das Haus verließ, drehte er sich noch einmal um. »Denk daran – nur eine einzige Beschwerde, und ich mache dein schändliches Verhalten öffentlich! Vertrau besser nicht darauf, dass dem Mädchen nicht geglaubt würde.«
Immer noch zornig, wollte Christian zu seinem Haus gehen. Doch schon auf halbem Weg kam ihm Kuno entgegengerannt. »Sie sind da!«, rief der Rotschopf atemlos. »Peter hat einen von Melchiors Leuten entdeckt!«
Die Vorhut
»Es ist einer von den Burschen, die damals mit Melchior gegangen sind«, stieß Kuno keuchend aus. »Bertram und Peter behalten ihn im Auge, ich bin sofort zu Euch gerannt.«
»Gut gemacht«, lobte Christian. »Wo und wie viele?«
»Nur einer. Er kam aus dem Nicolai-Viertel und ging Richtung Dorfausgang. Wir sind ihm unbemerkt gefolgt.«
»Ein Späher. Er soll das Dorf auskundschaften. Heute Nacht ist dunkler Mond, die beste Zeit für einen Überfall.«
Christian bedeutete Kuno, ihm zu folgen. Rasch gingen sie zum Wachhaus.
Herwart war bereits im Bilde, denn Bertram hatte den Eindringling heimlich verfolgt und ihm dann berichtet. »Der Bursche hat das Dorf verlassen und sich dort versteckt.«
Mit dem Kinn wies der Hauptmann der Wache auf ein Gebüsch in gut fünfzig Schritt Entfernung, etwas abseits des Weges, der aus dem Dorf führte. Das Versteck war gut gewählt: Die Fläche vom Dorf aus dorthin war frei, der Späher würde jeden von weitem kommen sehen, der sich ihm näherte. Doch zum Waldrand waren es nur ein paar Schritte.
»Wenn wir ihn jetzt greifen wollen, rennt er in den Wald und hat genug Vorsprung, um uns abzuhängen. Dann wird er seine Kumpane warnen«, meinte Herwart missmutig.
»Wir warten, bis die anderen kommen. Wenn sie sich ins Dorf schleichen, folgen wir ihnen und stellen sie auf frischer Tat«, entschied Christian.
Die schmale Sichel des Mondes warf nur spärliches Licht über die Landschaft.
Christian hatte seine Männer im Wachhaus versammelt. Er forderte die Wachen auf, sich wie gewohnt zu benehmen. Nichts sollte darauf hindeuten, dass sie den Fremden entdeckt hatten und jetzt doppelt so viele Bewaffnete wie sonst hier warteten, darunter auch vier Ritter.
»Geduld gehört nicht gerade zu meinen Tugenden«, murrte Lukas. Er stand neben Christian und starrte durch die schmale Fensteröffnung des Wachhauses, während er mit dem Schleifsteinüber die Klinge seines Dolches fuhr, obwohl sie längst scharf war.
Plötzlich erstarrte er in der Bewegung. »Da!«
In der Dunkelheit kaum zu erkennen, schwankten die Äste des Buschwerks. Der Heftigkeit der Bewegung nach musste der fremde Bursche sein Versteck verlassen haben.
»Zur Hölle«, fluchte Lukas. »Sollen wir ihm nachlaufen?«
Christian hielt ihn zurück. »Warte noch einen Moment.«
Wie er vermutet hatte, lösten sich im nächsten Augenblick drei schemenhafte Gestalten aus dem Dunkel des Waldes und gingen auf den Burschen zu, der aus
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