Die Spur der Hebamme
schlug und dabei ein Knecht ein Auge verloren hatte.
Marthe hatte gehört, dass das zweite Kind von Randolfs Frau bei der Geburt gestorben war; die Nabelschnur hatte sich um seinen Hals gewickelt.
Doch als sie von den Grausamkeiten erfuhr, die Richenza gegen die Menschen beging, die ihr hilflos ausgeliefert waren, verflog ihr Mitleid. Vielleicht, dachte Marthe schaudernd, erfüllt sich so doch noch der Fluch der alten Grete, die Randolf prophezeit hatte, seine Söhne würden tot geboren werden. Es waren Gretes letzte Worte gewesen, bevor der Hüne sie niederstach.
Durch den Dorfklatsch erfuhr Marthe auch, dass Randolfs Erstgeborener, der fast genauso alt war wie ihr Thomas, erkrankt war. Doch Richenza kam nicht um Rat zu ihr, obwohl sie nach ihrem Einzug Marthe in geheuchelter Herzlichkeit als neue Nachbarin begrüßt und umarmt hatte. Sie hielt sich an den Wundarzt, der mit ihr ins Dorf gekommen und in das Haus desverbrannten Medicus eingezogen war. Noch am Tag seiner Ankunft sah Marthe Pater Sebastian in sein Haus gehen.
»Wetten, dass er weder einen Aderlass braucht, noch dort seine hässliche Nase überall hineinstecken wird?«, knurrte Kuno. Bald schon sollte Marthe die Bestätigung dafür erfahren. Bei seinem nächsten Besuch hielt ihr Sebastian in überheblichem Tonfall vor, all ihr Tun sei unnütz und dumm, da sie keine Aderlässe vornehme und offensichtlich auch nicht nach der VierSäfte-Lehre heile.
Da wusste sie, dass sie sich doppelt in Acht nehmen musste: vor dem Pater und dem fremden Wundarzt. Denn sie hatte Josefas Worte von den lodernden Hexenfeuern nicht vergessen.
Dagegen erschien Marthe die Nachbarschaft von Randolf fast noch erträglich. Der Hüne kam nicht in ihre Nähe. Doch das konnte sich jeden Tag ändern. Zumal sich Randolfs Gefolge bald zwei alte Bekannte anschlossen: Kunos älterer Stiefbruder Martin und seine Frau Gertrud. Martin, der Marthe als junger Bursche beharrlich nachgestellt und sogar versucht hatte, sie mit Gewalt zu nehmen, war als Reisiger in Randolfs Dienst getreten. Kuno hatte ihn zuerst entdeckt und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, als er den Stiefbruder unter Randolfs Wachen sah.
Unsere Mutter würde sich vor Scham im Grabe umdrehen, dachte er finster. Du Verräterseele dienst dem, der sie mit eigener Hand umgebracht hat! Schande über dich, Pestilenz und Cholera!
Martin und seine Frau, die Marthe einst der Hexerei bezichtigt und ihren Tod gefordert hatte, waren nach Christians Sieg über Randolf vor fünf Jahren ins Nachbardorf zu Berthold geflüchtet. Dass sie sich jetzt wieder hierher wagten, konnte nichts Gutes bedeuten.
Und noch zwei Altbekannte wechselten zu Randolfs Lagerüber: Griseldis und Hildebrand, der ehemalige Dorfschulze. Ihnen übertrug der Burgvogt die Aufsicht über sein Gesinde.
Pater Sebastian untersagte den Dorfbewohnern strikt, zur Walpurgisnacht Feuer anzuzünden und zu feiern, weil dies heidnischer Spuk sei. Niemand wagte es, sich zu widersetzen.
Die Dorfjugend war enttäuscht, weil mit dem Sprung über die Feuer so manche Neckerei und auch manche Möglichkeit verbunden war, sich seiner Angebeteten zu erklären und einen Kuss oder auch mehr zu erhaschen.
Trotzdem hatten sich in der letzten Aprilnacht allerorten Grüppchen unter dem sternenklaren Himmel zusammengefunden, um bei einem Krug Bier zu plaudern.
Auch Marthe und Christian saßen mit ihren Freunden vor dem Haus unter der Dorflinde und genossen die klare Frühlingsnacht. Sie hatten Jonas und seine hochschwangere Frau eingeladen, dazu Karl und Agnes, deren Kind nun jeden Moment kommen konnte.
Wie die meisten der leise geführten Gespräche betraf auch ihre Unterhaltung die Steuereintreiber, die von Haus zu Haus gegangen waren.
Christian wusste durch Tills Berichte und auch durch einige ängstlich vorgetragene Beschwerden der Dorfbewohner, dass der Tuchhändler bei diesen Erhebungen keine Hilfe war. Nicht ein einziges Mal sprach er zugunsten der Dorfbewohner. Einige beklagten sich sogar darüber, dass Josef gelegentlich noch höhere Abgaben für Leute vorschlug, mit denen er bei früheren Gelegenheiten aneinandergeraten war.
»Sie haben ihn doch als Dorfschulzen gewollt«, meinte Lukas abfällig. »Nun sollen sie auch damit leben.«
Marthes Aufmerksamkeit hingegen war vollständig auf Agnes gerichtet. Als sie sah, dass sich Karls junge Frau zum wiederholtenMal auf die Lippen biss und verstohlen den Rücken mit den Armen stützte, unterbrach sie das Gespräch.
»Wie lange
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