Die Spur der Hebamme
mir genauso wenig wie dir«, gab Christian im gleichen Ton zurück. »Aber jetzt ist der Augenblick, wo wir zusammenarbeiten müssen, um das Dorf und das Silber zu verteidigen.«
Randolf gab sich keine Mühe, seinen Triumph zu verbergen. »Ottos Traum wird wahr – wir zwei, Seite an Seite für eine Sache«, meinte er mit unverhüllter Häme. »Bist du am Ende mit deinen paar Reisigen und Bettelrittern? Kommst du ohne meine Hilfe nicht gegen ein paar Strauchdiebe an?«
»Es sind mehr als ein paar Strauchdiebe unterwegs hierher«, erklärte Christian schroff. »Fast schon ein Heer. Wir müssen Otto um Unterstützung bitten.«
Nachdenklich rieb sich Randolf über das stoppelige Kinn, während Christian berichtete. »Und du denkst, dieses Gesindel hat sich das nicht nur ausgedacht, um sich wichtig zu machen und vom Galgen freizukaufen? Sollte der junge Ludwig wirklich so dreist sein?«
Doch je länger er die Sache überlegte, umso wahrscheinlicher erschien sie ihm. Ja, wäre er an Stelle des Thüringers, er würde wohl genauso handeln. Die Aussicht, reiche Beute zu machen und zugleich seinen Gegner vor dem Kaiser in Schwierigkeiten zu bringen, war zu verlockend. Dazu eine Bande Mörder und erfahrener Diebe anzuwerben … ja, das klang ebenso einleuchtend wie vielversprechend.
»Ich werde mir diese vier Tölpel gründlich vornehmen, bevor ich sie hänge«, verkündete Randolf.
»Ich bin dafür, sie dem Markgrafen zu übergeben«, hielt Christian dagegen. »Die Aussage von vier Vogelfreien ist für ihn keine Handhabe, den Thüringer öffentlich anzuklagen. Trotzdem sollte er es mit eigenen Ohren hören.«
»Einverstanden, schaffen wir sie zum Burgberg. Aber nur drei. Den Anführer will ich hier hängen sehen. Lassen wir seine Leiche zur Abschreckung am Dorfausgang baumeln und von den Krähen fressen«, entschied Randolf. »Das wird die anderen gesprächiger machen.«
Gerade als er und seine unerwarteten Besucher sich erhoben, klopfte es an der Tür. Ein Bewaffneter trat ein und verkündete, die Gefangenen seien hergebracht worden. »Sollen wir sie gleich ins Verlies schaffen, oder wollt Ihr sie erst sehen, Herr?«, erkundigte er sich.
»Ins Verlies mit dem Pack«, entschied Randolf. Er würde sichdas Gesindel erst vornehmen, wenn Christian aus dem Haus war. Wer weiß, was er noch alles aus ihnen herausprügeln konnte. »Und geleite meine Gäste nach unten«, wies er den verblüfften Reisigen an.
»Wir sehen uns morgen bei der Hinrichtung«, verabschiedete sich Randolf von seinem Feind und dachte: Schade, dass es nicht deine ist.
Als sich die Tür hinter Christian, Konrad und Lukas geschlossen hatte, öffnete eine schmale weiße Hand die schweren Bettvorhänge.
»Wenn das keine wunderbaren Neuigkeiten sind«, meinte Richenza mit breitem Lächeln. Sie wirkte hellwach, obwohl es mitten in der Nacht war. Randolf erkannte, dass sie jedes Wort mitgehört hatte, das hier gesprochen worden war, und wieder einmal vorausdachte.
»Christian hat dir jetzt selbst das Mittel in die Hand gegeben, ihn aus dem Weg zu räumen.«
Randolf glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Wieso?«, fragte er und ärgerte sich über sich selbst, weil er keine Ahnung hatte, wovon Richenza redete. Hatte sie im Handumdrehen schon einen perfiden Plan ausgeheckt? Dies sähe ihr ähnlich.
Randolfs Frau verdrehte ungeduldig die Augen. »Verstehst du nicht? Du musst Otto nur klarmachen, dass er handfeste Beweise braucht, um den Thüringer anklagen zu können. Das ängstliche Gewimmer von ein paar Strauchdieben genügt dafür nicht. Rede ihm ein, dass Christian auf Ludwigs Wartburg solche Beweise beschaffen soll. Und dann gibst du dem jungen Landgrafen einen kleinen Hinweis …«
Randolf gefiel dieser Plan auf Anhieb. Bis auf ein Detail.
»Und mein Eid?«
Wieder verdrehte Richenza die Augen, doch dann besann sie sich. Sie strich ihr glänzendes schwarzes Haar glatt und beugte sich vor, so dass er unter dem Rand der Decke genug von ihren üppigen Brüsten sehen konnte, um Lust auf mehr zu bekommen.
»Ein kleiner Hinweis … das wiegt doch nicht schwer«, meinte sie leichthin. »Und wenn du im Zweifel bist, dann unternimm hinterher eine Wallfahrt, meinetwegen nach England ans Grab von diesem Becket. Oder nach Köln zu den Gebeinen der Heiligen Drei Könige. Hast du es nicht längst satt, vor Christian den Gehorsamen zu spielen?«
Sie sah ihm nachdenklich in die eisblauen Augen und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
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