Die Spur der Hebamme
ihr streiten, sich von der Bank hochstemmen oder einfach sitzen bleiben sollte. Schließlich ließ er resignierend die Hand sinken und sackte zusammen.
»Es ist wegen der Hochzeit, nicht wahr?«, fragte Marthe leise. Sie hegte längst den Verdacht, dass diese Sache Lukas stärker zusetzte, als er sich eingestehen wollte. »Ist deine Braut denn so abscheulich?«
Er lachte bitter auf. »Ich hab sie ja erst zweimal gesehen. Sie kleidet sich wie eine Nonne, sie führt sich auf wie eine Nonne … Sie hasst mich und wird mich ewig hassen.«
»Woher willst du das wissen? Lass ihr etwas Zeit, dich kennenzulernen.«
Mit einem erneuten kurzen Auflachen schüttelte Lukas den Kopf. »Zwecklos. Sie wollte im Kloster bleiben. Ihr Vater hat sie da rausgeholt und besteht auf der Hochzeit.«
Marthe sagte nichts, sah ihn nur an und ermutigte ihn so zum Weiterreden.
»Sie will unbedingt Jungfrau bleiben, um in den Himmel zu kommen. Und ich verderbe ihr das. Schon bei meinem Anblick bekreuzigt sie sich, als wäre ich der Leibhaftige selbst, und fängt an zu heulen. Weil sie denkt, dass ich sie in die Hölle bringe, beschert sie mir die bereits hier.«
Marthe biss sich auf die Unterlippe. Das klang wirklich nacheiner ausweglosen Situation. Wenn sich das Mädchen aus Unerfahrenheit vor der Ehe fürchten würde und nur Zeit brauchte, um ihren künftigen Mann besser kennenzulernen, dann hätte sie keinen Zweifel gehabt, dass Lukas sie umstimmen konnte. Er war trotz seiner Jugend schon ein bewährter Ritter, sah gut aus und hatte ein einnehmendes Wesen.
Aber so? Die Kirche lehrte, dass nur Jungfrauen in den Himmel kamen. Treue Ehefrauen, die Kinder gebaren, und keusche Witwen hatten allenfalls eine vage Aussicht darauf. Doch wenn Lukas’ Braut in ihm denjenigen sah, der ihr diese Chance nahm, wenn sie nicht nur verängstigt, sondern sogar hasserfüllt war …
»Ich will sie ja nicht einmal«, fuhr Lukas fort. »Allein die Vorstellung, die Hochzeitsnacht mit diesem wandelnden Wasserfall zu verbringen …«
Er ließ den Kopf in beide Hände sinken. »Ich habe noch nie ein Mädchen in den Armen gehalten, das mich nicht wollte. Aber wie es aussieht, muss ich nun sogar eine in mein Bett zwingen.«
Mit einem Mal stöhnte er auf und vergrub die Hände in seinem blonden Haar. »Ich kann nicht glauben, dass ich mit dir darüber rede.«
»Ich werde niemandem etwas sagen«, versicherte Marthe schnell. »Nicht einmal Christian. Du hast mein Wort.«
Dabei wirbelten ihre Gedanken durcheinander. Sie war einst grausam geschändet worden und hatte später in ihrer ersten Ehe erdulden müssen, dass sich ihr ein ungeliebter Mann im Bett aufzwang. Doch sie hatte noch nie darüber nachgedacht, was es für einen Mann bedeuten mochte, bei einer Frau liegen zu müssen, die ihn hasste und verabscheute, für einen Mann, der sich nicht an der Angst und dem Entsetzen der ihm ausgelieferten Frau berauschte, sondern mit Liebe im Ehebett empfangenwerden wollte. Mit einem Mal wusste sie nicht, wen sie mehr bemitleiden sollte: Lukas oder seine ihr unbekannte Braut.
»Und wenn ihr die Ehe nicht gleich vollzieht?«, fragte sie vorsichtig. »Vielleicht kannst du sie mit der Zeit umstimmen – oder die Ehe annullieren lassen und dir später eine Braut suchen, die du wirklich haben willst und die dich auch will.«
Lukas sah sie mit einem Blick an, der sie trotz des schwachen Lichts, das die Kerze warf, bis in ihr tiefstes Innere erschütterte. Dann schien er selbst zu bemerken, dass er sich verriet, schlug hastig die Augen nieder und schüttelte den Kopf. »Unsere Väter haben uns aufs Kreuz schwören lassen, um das zu verhindern. Und sie wollen dem Vollzug der Ehe beiwohnen.«
Entsetzt riss Marthe die Augen auf. Lukas sollte vor den Augen seines Vaters und seines Schwiegervaters seine verängstigte Braut entjungfern! Was für eine widerwärtige Idee zweier alter Männer!
»Dann sollten wir deine Verlobte vielleicht hierher einladen«, überlegte sie laut. »Sie würde dich besser kennenlernen, und ich könnte mit ihr reden … ganz behutsam natürlich.«
Mit schweren Lidern sah Lukas auf. »Das würdest du tun?«
Plötzlich war er hellwach. »Sieh dich bloß vor! Sie ist einfach … eine Frömmlerin.«
»Lass es uns wenigstens versuchen. Und nun geh schlafen, bevor du dir in der Kälte auch noch ein Fieber holst.«
Am Morgen griff Lukas wortlos nach dem gesalzenen Fisch, den ihm Marthe reichte, stürzte einen Becher Bier hinunter und rief dann
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