Die Spur der Hebamme
ungeduldig nach Jakob, der bei den Pferden steckte.
»Los, kleiner Bruder, Schluss mit der Faulenzerei!«
Er wies ihn an, sich ein Schwert zu holen, und begann sofort,den Sechzehnjährigen mit wuchtigen Schlägen vor sich herzutreiben.
»Du bist schwach, du bist langsam, und du achtest nicht darauf, wohin mein nächster Hieb geht«, hielt er ihm unbarmherzig vor, während er dem Jüngeren das Schwert so schwungvoll aus der Hand hebelte, dass es in hohem Bogen davonflog. Jakob ging mit hochrotem Kopf, um die Waffe zurückzuholen.
»Er kann nichts für deine schlechte Laune«, ermahnte Marthe Lukas leise, die gesehen hatte, dass Jakob seinem Bruder einen hasserfüllten Blick zuwarf, als er sich unbeobachtet glaubte. Es war bestimmt nicht leicht für den Jüngeren, ausgerechnet hier, im Beisein seines ältesten Bruders, ausgebildet zu werden. So hatte Jakob nicht nur ständig vor Augen, dass nicht er, sondern Lukas die Ländereien ihres Vaters erben würde, sondern er musste sich auch noch dauernd vorhalten lassen, dass er dem Vorbild des Älteren nicht gerecht wurde.
Doch Lukas dachte nicht daran, seine Stimme zu dämpfen. »Es geht hier nicht um meine Laune«, meinte er unwirsch. »Ich tue ihm keinen Gefallen, wenn ich ihn schone. Wenn er es nicht endlich lernt, wird er seinen ersten echten Kampf nicht überleben. So wie er habe ich schon gefochten, bevor ich Knappe wurde.«
Da allerdings gab Marthe ihm insgeheim recht. Sie hatte Lukas kennengelernt, als er ungefähr so alt war wie sein Bruder jetzt, und er war damals im Umgang mit den Waffen deutlich geschickter gewesen als Jakob heute.
Der Knoten wird schon noch platzen, sagte sich Marthe.
Viel stärker beschäftigte sie im Moment die Frage, wie sie wohl Lukas’ Braut umstimmen könnte.
Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Wenn die junge Frau – sie wusste nicht einmal ihren Namen – wirklich so fromm war, würde sie womöglich verärgert reagieren, wenn Marthe mit ihrüber dieses heikle Thema sprach. Wahrscheinlich sogar. Aber ich muss etwas tun, das bin ich Lukas schuldig, dachte sie. Ich wünsche ihm doch von Herzen, dass er glücklich wird.
Christians Rückkehr riss sie aus ihren Grübeleien. Rasch lief sie ihm entgegen.
»Nichts«, beantwortete er ihre stumme Frage, noch während er vom Pferd sprang. Sein Freund hatte Randolfs Familiensitz gut im Auge behalten und sich sogar über den Klatsch des Gesindes informiert, das bei verschiedenen Gelegenheiten mit Randolfs Dienstboten in Kontakt kam. »Kein Brief, kein Bote, geschweige denn Randolf selbst ist gekommen.«
Niemand von ihnen mochte die stumme Hoffnung aussprechen, weil keiner von ihnen wirklich daran glaubte.
Am nächsten Morgen stellte sich der Trupp für die Abreise zum Hoftag nach Goslar auf. Mit Christian, seinen Rittern, dem Knappen und einem halben Dutzend Reisigen, die eine weitere Gruppe Goslarer Bergleute auf dem Weg hierher beschützen sollten, reiste auch einer der Steiger. Christian hatte ihm einen guten Lohn dafür versprochen, wenn er von Goslar aus zu seinen Verwandten ging, um sie dafür zu gewinnen, nach Christiansdorf zu ziehen.
Marthe stand scheinbar ruhig da, während um sie herum alles durcheinanderlief. Sie heftete ihren Blick auf Christian, der auf seinem Grauschimmel saß, als sei er mit ihm verwachsen, und sich umdrehte, um zu prüfen, ob alle auf den Pferden saßen und das Gepäck sicher verstaut war.
Sie trat näher, während sie noch einmal den Anblick in sich aufnahm: Christians Bewegungen, kraftvoll und geschmeidig, die unbeschreibliche Mischung aus Gelassenheit und Konzentration. Sie konnte sich daran nicht sattsehen. Das Wissen, dass er fortmusste, schnürte ihr die Kehle ab.
Was hatte der unberechenbare Markgraf diesmal mit ihm vor? Sie verdankten Otto viel: Er hatte die Siedler in die Mark holen lassen, ihnen Land und Saatgut für den Neubeginn gegeben, mit kühner Entschlusskraft dafür gesorgt, dass Bergleute ins Dorf kamen und Silbererz förderten und Christian und Marthe in den Stand der Edelfreien erhoben. Doch er hatte auch Randolf Macht über das Dorf verliehen, obwohl er wusste, dass ihn eine Todfeindschaft mit Christian verband.
»Gott schütze euch«, sagte sie mit brüchiger Stimme, als sie die Spitze des Zuges erreichte. Sie und Christian hatten sich schon in der Kammer voneinander verabschiedet.
»Dich auch und die Kinder«, gab Christian zurück. »Mach dir keine Sorgen. In fünf Wochen spätestens bin ich zurück.«
Auch er
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