Die Spur der Hebamme
vor einer Woche gestorben, der Markgraf und seine Gemahlin sind unterwegs zum Hoftag des Kaisers und kommen nicht so bald zurück.«
Pater Bartholomäus ist tot?, dachte Marthe mit einem jähen Anflug von Trauer und einer neuen Welle Hoffnungslosigkeit. Also würde niemand für sie sprechen.
Der Fragesteller blickte unzufrieden um sich. »Das bringt uns in eine schwierige Lage. Sollen wir in dieser dringlichen Angelegenheit wirklich wochenlang warten, bis wir ein Urteil fällen können?«
»Dafür ist das Weib viel zu gefährlich. Ich schlage ein Gottesurteil vor«, schnarrte das Raubvogelgesicht eifrig. »Unterziehen wir sie der Probe auf dem kalten Wasser, das bringt am schnellsten Klarheit.«
Marthe sank in sich zusammen. Sie hatte keine Ahnung, warum dieser Mann ihren Tod wollte.
Die anderen Arten des Gottesurteils gewährten den Delinquenten ein paar Tage Aufschub und eine geringe Überlebenschance. Sie mussten ein glühendes Stück Eisen tragen, in siedendes Wasser oder Öl greifen oder über glühende Kohlen laufen. Verheilten die furchtbaren Wunden sauber, was selten genug geschah, galt das Opfer als unschuldig und war frei, wenn auch verkrüppelt für den kurzen Rest seines Lebens. Brandige oder eitrige Wunden wurden als Schuldbeweis gewertet und führten zur Verurteilung.
Doch die Wasserprobe im Fluss brachte auf jeden Fall den Tod. Wer nicht unterging, wurde als Hexe hingerichtet, weil das reine Wasser Hexen nicht aufnahm. Zu versinken galt hingegen als Unschuldsbeweis. Doch üblicherweise weigerten sich die Büttel, das unglückliche Opfer aus dem Wasser zu ziehen, bevor es ertrunken war.
Sie hatte einmal selbst ein solches Gottesurteil mitansehen müssen. Eine junge Frau war von der Nachbarin angeklagt worden, ihren Mann behext und ihren Kühen die Milch weggezaubert zu haben. Verzweifelt hatte sie immer wieder ihre Unschuld beteuert, ehe sie von der Brücke gestoßen wurde. Dann hatten ein paar Männer sie so lange mit Stangen unter Wasser gedrückt, bis sie tot war.
Hin- und hergerissen zwischen maßlosem Grauen und Hoffnung wartete Marthe, wie der Fragesteller entscheiden würde. Bisher hatte er versucht, ihr mehr Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, als sie erwartet hatte.
»So sei es«, sagte er schließlich nach einem Moment lähmender Stille.
Marthe schloss die Augen.
»Steh auf«, befahl eine harte Stimme.
Sie wankte, ihre Beine verweigerten den Dienst.
Der Fragesteller ließ den Schreiber die Wachen holen, die vor der Tür gewartet hatten. »Schafft sie zum Fluss.«
Die Männer zerrten sie hoch. Marthe spürte die triumphierenden Blicke des Raubvogelgesichts und des Medicus auf ihrem Rücken, als die Wachen sie mit derbem Griff hinausführten.
Nach drei Schritten durchzuckte ein schneidender Schmerz ihren Unterleib. Sie krümmte sich. Ihr Kind! Verlor sie ihr Kind? Sollte das Ungeborene noch vor ihr sterben?
Aber war es nicht gleichgültig, ob jetzt oder beim nächsten Glockenläuten?
Wenn ich ertrunken bin, wird wenigstens niemand Christian oder meinen Kindern Hexerei vorwerfen können. Das war der einzige Gedanke, an den sie sich jetzt noch klammern konnte.
Die Kunde vom bevorstehenden Gottesurteil lockte unzählige Schaulustige an. So folgte eine lärmende Menschenmenge der denkwürdigen Prozession: sechs Kanoniker und eine halbnackte junge Frau mit geschwollenem Gesicht und in zerfetztem, blutigem Büßerhemd, die sich kaum auf den Beinen halten konnte. Ihnen voran ging ein Ausrufer, der Platz für die ehrenwerten Kirchenmänner forderte und nicht müde wurde, hinzuzufügen, dass sogleich am Fluss eine Sünderin auf Hexenkräfte geprüft werden sollte. Bis sie die Elbe erreichten, hatte sich bereits eine riesige Menschenmenge zusammengefunden.
Am Ufer angelangt, rief das Raubvogelgesicht die Fähre herbei. Während der Fährmann auf sie zuhielt, band jemand Marthe ein Seil eng um den Leib. Verzweifelt hielt sie Ausschau nach einem bekannten Gesicht unter den lärmenden Zuschauern.Aber so, wie sie zugerichtet war, würde niemand in ihr die Frau von Ritter Christian erkennen.
»Gestehst du dein teuflisches Blendwerk?«, geiferte das Raubvogelgesicht.
»Bei Gott und allen Heiligen, ich bin unschuldig«, rief Marthe und begann verzweifelt zu beten.
Doch sie hatte kaum zu sprechen begonnen, als ein Stoß sie zu Boden schickte. Auf Befehl des Mannes, der sie befragt hatte, nahmen die Wachen ihr die Ketten ab und bogen ihren Körper so, dass sie Hand- und Fußgelenke
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