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Die Spur der Hebamme

Titel: Die Spur der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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rauhe Mauerwerk, als sie das Stroh rascheln hörte, weil ihr Peiniger einen Schritt zurücktrat, um auszuholen. Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie wusste, dass er den ersten Schlag mit Absicht hinauszögerte, um sich an ihrer Angst zu weiden.
    Die Wucht des Hiebes zerfetzte ihre Haut vom Schulterblatt bis zur Hüfte. Sie schrie markerschütternd und spürte Blut über ihren Rücken rinnen.
    Der Raubvogelgesichtige keuchte und holte wieder aus, wieder und wieder, während sie bereits ohnmächtig in den Ketten hing.
    Erst als sein Rausch vorbei war und er sich Erleichterung verschafft hatte, rief er die Wachen herein.
    »Kettet sie los«, befahl er. »Sie muss morgen vor Gericht noch auf eigenen Füßen stehen können.«
    Mürrisch löste der Jüngere die Schellen und ließ die Bewusstlose zu Boden fallen. Der Pfaffe hatte wieder einmal seine Pläne für die Nacht durchkreuzt. Mit diesem blutenden, halbtoten Stück Fleisch war nichts mehr anzufangen. Dann fiel sein Blick auf den Reif mit dem Schleier auf dem Boden. Rasch hob er ihn auf und steckte ihn unter sein Hemd. Wenigstens würde ihm das ein paar Münzen einbringen.
     
    »Los, aufstehen!« Harte Tritte rissen Marthe aus der Bewusstlosigkeit. Noch ehe sie sich klar darüber werden konnte, wo sie war, fuhren brennender Schmerz und eisige Kälte durch ihren Körper.
    Sie hob den Kopf und blinzelte gegen die jähe Helligkeit. Als sich ihre Augen an das Licht der Fackel gewöhnt hatten, sah sie Abscheu und Erschrecken auf dem Gesicht des Mannes, der sie gestern noch lüstern angeglotzt hatte. Das verriet ihr etwas über ihr Aussehen. Mit der Hand strich sie über die schmerzende linke Gesichtshälfte. Sie musste darauf gestürzt sein, als die Männer sie losgebunden hatten. Die Wange war dick geschwollen und wahrscheinlich blau und rot angelaufen.
    »Wird’s bald! Oder brauchst du noch mehr Hiebe?«
    Unter Schmerzen quälte sie sich hoch und wurde sich erst dabei bewusst, dass sie nackt war. Für den Versuch, ihre Brüste und ihre Scham mit den Händen zu bedecken, erntete sie hämisches Grinsen bei den Wachen. Einer warf ihr einen Stofffetzen zu.
    »Zieh das an.«
    Mit bebenden Händen entfaltete sie das grobgewebte StückLeinen; ein Büßerhemd, das weder ihre Waden noch ihre Arme bedecken würde.
    Jetzt erst begriff sie bis ins letzte, warum Christian immer wieder darauf bestanden hatte, dass sie Kleider in Farben und Zuschnitten trug, die den einfachen Leuten verwehrt blieben.
    Das Kirchengericht würde sie nicht als Dame von Stand behandeln, sondern nach dem Eindruck, den ihr jetziger Zustand hinterließ, so wie es das Raubvogelgesicht gewollt hatte: halb nackt in einem Büßergewand, mit Stroh im unbedeckten, ungekämmten Haar, barfuß, schmutzig, zerschunden, vor Durst, Hunger und Schmerz kaum fähig zu stehen.
    Mühsam zog sie sich das Hemd über den Kopf. Bei jeder Bewegung brachen kaum verkrustete Wunden auf ihrem Rücken auf und begannen erneut zu bluten.
    Die Männer legten ihr Ketten um die Handgelenke und führten sie durch die Kellergewölbe, dann eine Treppe hinauf und durch den halben Bischofspalast, bis sie vor einer großen Tür haltmachten und ihr befahlen, stehen zu bleiben. Eine der Wachen ging durch die Tür. Danach verstrich scheinbar endlos viel Zeit, ohne dass jemand kam und Marthe hereinbefahl. Sie begriff, das war ein weiteres Mittel, sie zu zermürben.
    Sie schwankte und glaubte schon, keinen Augenblick länger stehen zu können, als sich die große Tür endlich öffnete und sie mit einem Wink aufgefordert wurde, einzutreten.
    Der Saal war hoch und düster. An der Stirnseite saßen auf einem langen, hohen Podest sechs kirchliche Würdenträger in pechschwarzen Roben und mit großen Kreuzen auf der Brust, die auf sie herabstarrten, ohne dass sie die Gesichter richtig erkennen konnte. Aber sie war sicher, dass sie außer dem Raubvogelartigen keinen von ihnen kannte. In der Mitte stand ein kostbar verzierter Stuhl, auf dem niemand saß. Linker Hand wartete an einem Pult ein Schreiber, der sorgsam vermied, sie anzusehenund auf sein Pergament starrte, ansonsten war der riesige Saal leer.
    Unter den gnadenlosen Blicken von sechs Augenpaaren trat sie zögernd näher, bis die bekannte Stimme schnarrte: »Auf die Knie, Sünderin!«
    Sie gehorchte sofort, erleichtert, nicht länger stehen zu müssen. Sie wollte nicht ohnmächtig vor ihren Richtern zusammenbrechen.
    Der Mann, der links neben dem leeren Stuhl saß, richtete das Wort an sie. »Du

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