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Die Spur der Hebamme

Titel: Die Spur der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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er auf sein Erbe verzichtet hat«, murrte Jakob halblaut, als sein Bruder sie endlich entließ und zum Essen schickte. »Aber bald bin ich der Erbe und er der Habenichts.«
    Zu seinem Pech hatte Lukas diese Worte mitbekommen. Er packte seinen Bruder an der Schulter, drehte ihn zu sich um und verpasste ihm eine so wuchtige Maulschelle, dass der Jüngere stürzte.
    »Hirn hättest du nötiger als Land«, hielt er Jakob verächtlich vor.
     
    Nach dem Essen setzte sich Lukas ungeachtet der hereingebrochenen Kälte neben den Pferdestall und wartete. Hier würde er es als Erster hören, wenn jemand kam. Müde und voller unruhiger Gedanken lehnte er sich gegen die hölzerne Wand. Bald forderte die durchwachte Nacht ihren Tribut. Er schlief ein und wurde von wirren Träumen gequält.
    Doch seine Reflexe waren so gut ausgebildet, dass er aus dem Schlaf auffuhr, als von weitem Pferdegetrappel zu hören war. Mit einem Mal hellwach, stand er auf und hielt Ausschau. Im hellen Mondlicht sah er bald seine Hoffnung bestätigt: Es war Christian auf dem fremden Pferd, in seinen Armen hielt er eine reglose, schmale Gestalt.
    Gütiger Gott im Himmel, lass sie nicht tot sein, betete er stumm.
    Doch als Christian den Braunen zum Stehen brachte und ihm vorsichtig die reglose Marthe in die Arme gab, damit er absitzen konnte, sah er, dass ihre Lider flatterten.
    »Der Herr sei gepriesen«, stieß Lukas erleichtert aus und verspürte auf einmal ein ungewohntes Brennen in den Augen.
    »Sie ist auf den Tod krank«, sagte Christian mit brüchiger Stimme und nahm Lukas seine schmale Last wieder ab.
    »Ich habe Mechthild schon Krankenkost vorbereiten lassen«, berichtete Lukas und erntete dafür einen skeptischen Blick von Christian.
    »Sie hat sich auch mächtig darüber gewundert«, ergänzte er eilig.
    Sie gingen ins Haus, wo alle bereits schliefen, brachten Marthe nach oben und beschlossen, Johanna aufzuwecken.
    Christian wünschte sich Josefa mit ihrer Erfahrung her, aber die weise Frau war tot. Es gab keinen Medicus mehr im Dorf, auf dessen fragwürdige Methoden er ohnehin verzichtet hätte, und niemanden sonst, der sich – von Marthe abgesehen – auch nur annähernd so gut aufs Heilen verstand wie ihre Stieftochter.
    Johanna riss die müden Augen auf, als sie sah, wen Christian auf seinen Armen trug, und brach vor Erleichterung in Tränen aus.
    Doch schnell besann sie sich auf ihre Pflichten. Sie half Christian, der Kranken das kostbare Kleid auszuziehen und sie auf das Bett zu legen, fühlte ihre Stirn und ihren Puls. »Nur ein leichtes Fieber. Ich denke, sie ist vor allem völlig erschöpft. Lasst sie schlafen. Falls das Fieber steigt, ruft mich.«
    Christian schickte Johanna wieder ins Bett. Dabei hatte er Mühe, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Beim Auskleiden hatte er die tiefen Wunden bemerkt, mit denen sich die Peitschenhiebe in Marthes Rücken gegraben hatten. Selbst nach so vielen Wochen waren sie noch zu sehen.
    Bevor er sich zu seiner Frau setzte, um über ihren Schlaf zu wachen, schwor er sich, denjenigen zu töten, der ihr das angetanhatte. Ganz gleich, wer es war. Selbst wenn er dafür in die Hölle fahren musste.
     
    Die Nachricht von Marthes geheimnisvoller Rückkehr versetzte am nächsten Morgen erst den ganzen Haushalt, dann das halbe Dorf in Aufregung. Immer mehr Menschen versammelten sich vor dem Haus des Dorfherrn, um nachzufragen, ob das Gerücht denn wahr sei, sanken auf die Knie und sprachen ein Dankgebet, als sie die Bestätigung hörten.
    Im Haus wich die erste Freude jedoch bald allgemeiner Besorgnis über Marthes Zustand. Wenn sie für ein paar Momente aufwachte, blickte sie wie eine Fremde um sich, war nur mit Mühe zu bewegen, ein paar Bissen zu sich zu nehmen, und sprach kein Wort. Johanna beriet sich mit Emma und ein paar älteren, lebenserfahrenen Frauen. Sie rang das Fieber nieder und befolgte den Rat der alten Hilda, den ihr Christian übermittelt hatte. Sie ließen Marthe nie allein und brachten ihre Kinder zu ihr, sooft es zu verantworten war. Doch nicht einmal Thomas’ Lebhaftigkeit und die unbeholfenen Umarmungen der kleinen Clara schafften es, der Kranken mehr als ein müdes, stummes Lächeln zu entlocken.
    »Sie spricht immer noch kein Wort?«, fragte Lukas, als Christian einmal aus der Kammer kam, nachdem er Marthe in tiefem Schlaf wusste.
    Der schüttelte besorgt den Kopf. »Das ist keine Krankheit oder einfache Schwermut«, sagte er dumpf. »Ich weiß nicht, was sie alles mit

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