Die Spur der Kinder
das Lächeln im Halse stecken. Und für einen kurzen Moment blickte er hilflos in die Augen seines Freundes, als hoffte er auf irgendein Zeichen, das nicht kam. Dann schob er seinen Stuhl zurück und sagte: »Seid mir nicht böse, aber ich bin gerade mitten in der Inventur, und da …«, er winkte ab, »ach, was soll’s – was kann ich euch bringen?«, fragte er und brachte kleinlaut über die Lippen: »Geht aufs Haus.«
Rolf, der neben Theresa Platz genommen hatte und diese fest umschlungen im Arm hielt, lächelte überrascht. »Aufs Haus? Hast du heute die Spendierhosen an?«
»Wieso? Das macht man doch so unter guten Freunden, oder nicht?«, meinte er mit einem aufgesetzten Lächeln.
Rolf zwinkerte ihm zu. »Dank dir«, grinste er und schlug die Karte auf. »Also, ich hätte dann gerne ein Bier und das Kalbsschnitzel.«
TheresasAugen wanderten durch die Karte. »Und für mich bitte das Steak vom argentinischen Rind und eine Apfelschorle.«
Adrian deutete ein Kopfnicken an.
»Ach, und Adrian …«, schob Theresa nach.
»Ja?«
»Das Steak bitte englisch. Ich mag es, wenn es richtig schön blutet.«
»Das dachte ich mir«, sagte er und entfernte sich.
***
Gedankenverloren starrte Piet Karstens über das Lenkrad hinweg auf die rote Ampel. Auf dem Beifahrersitz klappte Frauke Behrendt ihren Laptop auf.
»Was hast du vor?«, wollte Karstens wissen, den Blick weiter auf die Straße gerichtet.
Behrendt grinste geheimnisvoll, zog einen USB-Stick aus ihrer Tasche und steckte ihn in einen der Ports. Ein paar Klicks, und es öffnete sich ein Text-Dokument.
» SPUREN DER SCHULD von Fiona Seeberg«, las Behrendt vor.
»Was?«, fragte Karstens entsetzt. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt? Du kannst der doch nicht einfach das Manuskript klauen!«
»Was heißt hier klauen«, spielte Behrendt die Sache herunter. »Seebergs Arbeitszimmer liegt gleichneben der Gästetoilette. Die Tür stand offen – das war ja quasi ’ne Aufforderung. Außerdem hab ich mir ja nur ’ne Kopie gezogen.«
»Nur? Was meinst du, was passiert, wenn rauskommt, dass du ohne Durchsuchungsbefehl …«
»Piet, jetzt mach dir nicht gleich in die Hose«, schnitt Behrendt ihm das Wort ab, während sie weiter die Zeilen auf dem Bildschirm überflog. »Hör lieber mal zu, was ich rausgefunden habe: Fiona Seebergs Tochter wurde vor über zwei Jahren entführt und ist nie wieder aufgetaucht.«
»Ist ja was ganz Neues«, warf er zynisch ein.
»Jetzt hör doch erst mal zu. Seebergs neuer Roman handelt ebenfalls von einem vermissten Kind. Aber jetzt kommt’s: Zum Zeitpunkt, als die Mutter in Seebergs Buch ihr Kind als vermisst meldet, ist es längst tot.«
»Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst.«
»Im Klartext: Seebergs Romanfigur ist eine überforderte Mutter, die ihr Kind selbst umgebracht hat«, erläuterte Behrendt und sah Karstens von der Seite an. »Schon mal daran gedacht, dass sich Fiona Seeberg vielleicht nicht nur ihren Kummer, sondern auch ihre Schuld von der Seele schreibt?«
Karstens’ Miene verfinsterte sich. »Und das hast du vorhin alles mal eben so beim Überfliegen des Romans festgestellt? Oder warst du vielleicht gar nicht auf der Toilette?«
»Sagenwir so, ich bin beim Querlesen zufällig auf die richtigen Stellen gestoßen«, wich Behrendt aus. »Hier, hör dir das mal an«, fuhr sie fort. » ›Obwohl Katrin Siebig überzeugt war, dass die Wahrheit niemals ans Licht kommen würde, lastete die Schuld und der Drang, es wieder zu tun, wie ein immerwährender Fluch auf ihr.‹ Und hier heißt es weiter: ›… der Tod ihrer Tochter erschien ihr mehr und mehr wie ein Ausweg aus einem Leben, das sie nicht führen wollte. Wie ein Geheimgang, der sich ihr unverhofft offenbart hatte. Wie ein stilles Aufatmen für die nächsten neun Monate …‹«
Karstens schien nachzudenken. »Tut mir leid, Frauke, aber du verrennst dich da in was«, sagte er schließlich. »Ich glaub einfach nicht an die Nummer mit der Schriftstellerin, die ihre Morde in ihren Roman schreibt.«
Er lachte kurz auf. »Fehlt nur noch der Eispickel unterm Bett, was?«
»Eispickel?«
»Wie in Basic Instinct «, grinste er.
Verärgert sah Behrendt ihn an. »Ah ja, ich erinnere mich an die Szene, in der die Verdächtige beim Verhör keinen Slip trägt.« Und mit einem aufgesetzten Lächeln sagte sie: »Aber was unsere Schriftstellerin drunter trägt, wirst du ja – wie ich dich kenne – sicher bald rausfinden.«
»Was soll denn das
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