Die Spur des Boesen
Sie.«
Sie war mittleren Alters, das Haar unter ihrer Wintermütze schwarz, am Ansatz braun. Sie konnte fett oder schlank sein — im Moment trug sie zu viele Kleiderschichten übereinander, um das sagen zu können. Die Falten um ihre blauen Augen ließen auf irgendetwas Ende vierzig schließen.
Sie merkte, was in Corsos Kopf vor sich ging. »Ich habeihn nicht angeheuert, also kann ich ihn auch nicht feuern«, erklärte sie. »Sein Vater ist Stadtratsvorsitzender. Clint Richardson hat den Stadtrat veranlasst, mich davon zu überzeugen, dieses Kind als Deputy Sheriff einzustellen. Es hieß, ich würde in der Gemeinde keinen so großen Eindruck machen. Brauchte etwas neues Blut.«
Corso beobachtete, wie die Türen des anderen Rettungswagens geschlossen wurden. Ein Sanitäter blieb bei Dougherty, die anderen drei kamen auf Corso zu. Der letzte Streifenwagen fuhr rückwärts aus der Einfahrt. »Hat nie was anderes gemacht, als mich zu bekämpfen«, fuhr sie fort. »Mein Gott, der setzt sich noch nicht mal eine richtige Mütze auf.«
»Es sind seine Ohren«, versuchte Corso zu vermitteln.
»Wollte ein Kaliber vierzig mit sich rumtragen, und als ich ihn nicht gelassen habe, hat er seine Achtunddreißiger mit so viel Pulver geladen, dass er sich entweder seine Hand wegpusten oder im Nachbarhaus die Wand durchschießen könnte.« Sie schüttelte den Kopf. »Er kapiert's einfach nicht.«
Sheriff Trask legte eine Hand auf Corsos Schulter, so dass er sich in ihre Richtung drehte. »Apropos nicht kapieren, Mr. Corso... möchten Sie mir nicht erzählen, warum ein weltberühmter Schriftsteller und seine befreundete Fotografin mitten in einer Nacht wie der letzten herumfahren?« Corso zuckte mit den Schultern. Sie beugte sich zu ihm hinunter. »Ole Swanson in seinem Pickup kann ich ja verstehen. Seit im letzten Frühjahr seine Alte gestorben ist, hatte er sich jeden Abend so voll laufen lassen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er was Dummes anstellen und dabei draufgehen würde. Aber Sie, Mr. Corso, wenn Sie erlauben, dass ich das sage... Sie sollten es besser wissen.«
Weil seine Augen nicht mit den Bewegungen ihres Kopfes mithalten konnten, wandte er den Blick langsam ab, beobachtete, wie einer der drei Sanitäter im Schnee ausrutschte und hinfiel. Beobachtete, wie ihm seine beiden Kollegen wieder aufhalfen, ihm den Schnee von der Kleidung klopften und ihn in Corsos Richtung zogen. Corso spürte, dass Sheriff Trask ihn von der Seite anstarrte.
»Ich denke, ich habe was gesucht«, meinte er.
»Und das wäre?«
»Ein kostenloses Mittagessen.«
Sheriff Trask ließ einen leisen Pfiff hören. »Eine kostspielige Angelegenheit.«
»Sieht ganz so aus, ja«, sagte er.
Die Sanitäter überprüften die Gurte und hoben Corso in den Wagen. Sheriff Trask stand an der Tür, während die Sanitäter die Trage befestigten.
»Sie glauben, dass die ganze Familie da drin ist?«, fragte Corso.
»Ich wollte nichts anfassen«, antwortete sie. »Aber wenn Sie mich fragen, da waren die sterblichen Überreste von mehr als einem Menschen in diesem Bündel.«
»Ja«, bestätigte er, als sich die Türen schlossen.
E s ist schwer, Jesus zu kennen. Wie sehr ich auch versuche, mir sein Bild in Gedanken zu bewahren, es zerrieselt mir immer wieder wie Sand aus meinen Ohren. Ich glaube, das ist, weil ich auch all die anderen Bilder in meinem Kopf habe. Dinge, die mir passiert sind... hier in meinem Leben vor ewig langer Zeit. Nicht jemand anderem, sondern mir. Ich kann in Papas Bibel das Bild von Jesus anschauen ... das, auf dem er auf einer Wolke steht und wo das ganze Licht aus ihm herausstrahlt, als wäre er die Sonne oder so was. Ich kann es mir eine Stunde lang anschauen, und in dem Moment, in dem ich aufhöre, sehe ich nur noch Billy Camerons Augen und dieses pinkfarbene Partykleid, das Brittany Armstrong am letzten Schultag anhatte... und mein Haar... mein Haar... liegt da überall verstreut. Mama sagt, deswegen tragen die Nonnen diese schwarzen Dinger und schließen sich in modrigen Häusern ein. Damit sie ihren Kopf frei halten können. Damit sie Platz für Jesus machen können.
6
Das Fernsehbild wackelte, doch Richardsons Stimme war laut und deutlich zu hören. Unter seinem Kopf und der Reihe von Mikrofonen wurden die Worte Deputy Sheriff Cole Richardson eingeblendet. Live aus der Eingangshalle des Krankenhauses. Hinter ihm stand der Mann, der im Haus der Familie Holmes aufgetaucht war — Richter Powell —, neben einem
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