Die Spur des Drachen
palästinensischen Ratsmitglieder saßen. Er wartete, bis die anderen Männer sich beruhigt hatten.
»Ich wünsche, gehört zu werden, bevor wir abstimmen«, sagte er ernst.
»Es hat schon genug Gerede gegeben, Abu Kamal! Es ist an der Zeit, etwas zu tun!«, rief ein Ratsmitglied.
»Es sind genug Menschen unseres Volkes gestorben! Wenn wir uns jetzt nicht gewaltsam gegen die Israelis zur Wehr setzen, wird die Lektion von al-Nakba, der Katastrophe, für uns verloren sein«, rief ein zweites Ratsmitglied und bezog sich auf die Gründung Israels im Jahre 1948, die Abertausende von Palästinensern ihre Heimat gekostet hatte.
»Min al nahr ila al barh«, intonierte der Ratsvorsitzende. »Dieses Land wird unser sein, vom Fluss bis zum Meer!«
»Ja«, pflichtete Jafir Kamal ihm bei. »Von unserem Volk sind genug gestorben.«
»Sie wollen sich also zurücklehnen und nichts tun, während die Israelis unser Land stehlen und unsere Häuser niederbrennen?«
»Was weiß er schon?«, entrüstete sich ein weiteres Ratsmitglied verbittert. »Er hat hier keine Heimat mehr. Der große Jafir Kamal ist aus seiner neuen Heimat Amerika gekommen, um uns alle zu retten.«
»Er sollte keine Stimme haben! Er soll nicht das Recht haben, abzustimmen!«
»Einverstanden!«
Weitere Männer taten ihre Zustimmung kund. Ein Junge, bekleidet mit einem formlosen, abgetragenen Hemd und ausgefransten Hosen, kämpfte sich durch den Trubel, um von einem Tablett Tee an die Ratsmitglieder auszuschenken. Die wild fuchtelnde Hand eines Mannes traf den Jungen, als dieser gerade einem anderen Mann ein Glas reichte, und die warme Flüssigkeit ergoss sich über dessen Gewand. Das Ratsmitglied schlug dem Jungen mit dem Handrücken ins Gesicht, dass die restlichen Tassen durch die Luft flogen.
Jafir Kamal half dem Jungen auf die Beine und beobachtete, wie er zurück in die Küche stürmte, bevor er auf die Kritik reagierte, die gegen ihn gerichtet war. »Es ist wahr, dass ich meine Familie nach Amerika gebracht habe. Es ist wahr, dass ich in den Nachwehen des Krieges zurückgekommen bin und meine Frau und zwei Söhne zurückgelassen habe.« Sein Blick wurde hart. »Es ist ebenfalls wahr, dass das Land, in dem ich aufgezogen wurde und in dem ich meine Kinder aufzog, nun als militärischer Außenposten der Israelis herhalten muss. Ich würde sagen, das gibt mir das Recht, mit abzustimmen.«
»Sie sprechen wie ein Esel, Abu Kamal.«
»Ja, weil aus euch allen Esel geworden sind! Ihr bestraft mich, weil ich ein Außenseiter bin«, fuhr Jafir Kamal fort und wandte sich zu dem Fremden um, der still und unbeweglich in einer Ecke des Raumes stand. »Und doch ist es ein Außenseiter, den ihr um Hilfe angeht.«
»Unsere Freunde in Ägypten haben ihn geschickt, um uns zu helfen«, rief ein anderes Ratsmitglied.
»Sie meinen unsere Freunde in Russland, nicht wahr?«, erklärte Kamal und starrte den Fremden an.
»Was macht es für einen Unterschied, solange wir die Waffen geliefert bekommen, die wir brauchen?«
»Natürlich«, erwiderte Jafir Kamal zynisch und warf dem Fremden einen abschätzigen Blick zu, »damit wir für die Ägypter und die Syrer deren Krieg auskämpfen – einen Krieg, den sie bereits verloren haben.«
Die Ratsmitglieder blickten einander ungläubig an.
»Möchten Sie denn, dass wir mit den Israelis Frieden schließen, Abu Kamal?«, fragte der Vorsitzende herausfordernd.
»Wenn wir uns auf annehmbare Bedingungen einigen können, ja. Ich würde vorschlagen, eine Delegation zu entsenden, die sich mit der israelischen Führung trifft.«
»Das ist verrückt! Die Israelis werden nichts davon hören wollen! Sie erkennen nicht einmal unser Recht auf unser Land an«, rief eine andere Stimme.
»Das Leben in Amerika hat Sie verweichlicht«, fügte der Vorsitzende des Rates hinzu, »während Sie uns auffordern, dass wir hart sein sollen. Sie ermutigen uns, unser Erbe zu verraten, unseren Glauben, sie ermutigen uns sogar, die eigene Zerstörung hinzunehmen. Ihr Volk, Abu Kamal, Ihr eigenes Volk!«
Der Junge kehrte mit einem weiteren beladenen Tablett zurück und begann, die Gläser noch vorsichtiger zu verteilen.
»Sie haben den Mann gehört«, sagte ein junger Soldat namens Omar Shaath. Er überragte Jafir Kamal um einiges, als er aufstand, um ihm gegenüberzutreten. »Sie sind nicht mehr der Held, der Sie einst waren! Sie sind eine Schande für unser Volk und sollten von hier verschwinden!«
Jafir lehnte mit einem leichten Lächeln und einem
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