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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Eingangstür und den Fenstern und warf sanfte, diamantene Muster auf dem gebohnerten Fußboden aus Zypressenholzbrettern. Heilige weiße Papiergirlanden hingen von den Säulen. Die Wände waren mit Geschenken an die Gottheit des Tempels bedeckt: Schwerter und Modelle von Schiffen und Häusern. Vor der Tür zum inneren Heiligtum hingen weiße Vorhänge. Hier war es leise und gedämpft; die Luft roch nach Weihrauch, Kerzenwachs und Fichtenharz. Vor den weißen Vorhängen ließ Kommandant Ohira sich auf die Knie fallen; dann neigte er den Kopf in stillschweigender Anerkennung der Worte, die Sano gesagt hatte. Sano kniete sich neben Ohira. Dann, nach längerem Schweigen, sprach der Kommandant wieder. Seine Stimme war leise und voller trauriger Resignation.
    »Ich habe die Sicherheitsmaßnahmen auf Deshima gelockert, um ein Verbrechen zu ermöglichen. Ich habe auf Befehl von Statthalter Nagai das Inventarverzeichnis des Lagerhauses gefälscht. Ich wollte es nicht, aber was blieb mir anderes übrig? Ein Samurai muss seinem Herrn gehorchen.«
    Die höchste Tugend des Bushido war der Gehorsam, der jedoch häufig mit den eigenen Moralvorstellungen des Samurai und den Gesetzen im Widerstreit lag, wie Sano aus eigenem Erleben nur zu gut wusste. Er erkannte, dass Schuldgefühle und der Hass auf sich selbst den körperlichen und seelischen Verfall Kommandant Ohiras herbeigeführt hatten.
    »Nagai sagte, er würde mich durch einen anderen ersetzen, wenn ich die Schmuggeleien nicht erlaube«, fuhr Ohira fort. »Und er drohte damit, Kiyoshi die Unterstützung zu entziehen.« Die Stimme des Kommandanten wurde brüchig vor Schmerz; er wandte sich Sano zu, die Hände in einer Geste ausgestreckt, mit der er um Verständnis bat. »Was sollte ich denn tun?« Allmählich verebbte die Flut der Gefühle, und Ohira beugte den Kopf über die gefalteten Hände. »Jetzt ist alles verloren.«
    »Nicht unbedingt«, erwiderte Sano.
    »Was meint Ihr damit?«, fragte Ohira, und in seiner Stimme schwang ein Hauch von Hoffnung.
    Sano hatte nun Beweise; er besaß Ohiras Geständnis, das der auf Bestrafung und Sühne bedachte Kommandant zweifellos vor dem Tribunal wiederholen würde. Aber Sano wollte noch mehr.
    »Kiyoshi könnte gerettet werden.« Sano zögerte, als ihn das unangenehme Gefühl überkam, sich ähnlich zu verhalten, wie Jan Spaen es getan hätte. Wenn man bedachte, was er vorhatte – war er dann nicht ebenfalls ein Ausbeuter? »Euer Sohn ist weder ein Schmuggler noch ein Mörder«, fuhr Sano fort. »Sein einziges Verbrechen bestand darin, dass er mich fälschlicherweise beschuldigt hat, um Euch zu retten. Wenn wir Kiyoshi dazu bringen, die Wahrheit zu sagen, wird ihm die Hinrichtung erspart bleiben.«
    Kommandant Ohira seufzte tief. »Ihr kennt nicht die ganze Geschichte. Würdet Ihr sie kennen, würdet Ihr Kiyoshi nicht so bereitwillig helfen wollen, das könnt Ihr mir glauben.«
    »Ich habe den Jungen heute Morgen im Gefängnis besucht. Er hat sich wie ein Verrückter aufgeführt, kam dann aber lange genug zur Vernunft, um mir alles zu erzählen. Vor zwei Monaten hat Kiyoshi die geheimnisvollen Lichterscheinungen verfolgt, weil eine Wahrsagerin ihm erzählt hatte, diese Lichter wären Geister, die ihm Geld genug verschaffen könnten, um das Mädchen zu heiraten, das er liebt. Als Kiyoshi die Lichter dann wieder sah und beobachtete, wie sie übers Meer nach Deshima zogen, hat er sie bis zu der Höhle verfolgt, wo er die Schmuggler entdeckte. Später hörte er zufällig mit, wie ich zu den Wachsoldaten sagte, die Sicherheitsvorkehrungen auf Deshima in den Nächten zu lockern, wenn Waren von der Insel geschmuggelt würden. Kiyoshi wusste nicht, dass Statthalter Nagai und andere hohe Beamte an diesem Verbrechen beteiligt waren. Er vermutete, dass ich allein den Schmugglerring geführt habe. In der Nacht, als Kiyoshi verhaftet wurde, ist er zu der Höhle gegangen, weil er mich dazu bringen wollte, mit dem Schmuggeln aufzuhören.«
    Also hatte Kiyoshi den eigenen Vater gemeint, als er von ›aufhalten‹ und ›warnen‹ geredet hatte. Sano sah seine Vermutung bestätigt.
    Ohira lachte traurig auf. »Mein armer, treuer, gutgläubiger Sohn. Ja, er hat mich beschützt. Aber nicht nur, indem er gelogen hat. Er hatte damit begonnen, nachts am Strand Streife zu gehen, weil er Angst hatte, die Polizei könnte mich fassen! Wie hätte er auch ahnen können, dass wir Komplizen waren – die Polizei, meine Kumpane und ich?« Ohira hielt inne, als

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