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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Minami mit dem Geldbündel ins Gesicht schlagen und durch die Tür hinaus in die Freiheit gehen.
    Sie stellte sich vor, wie es wäre, sich ein Haus zu kaufen, ein Dienstmädchen einzustellen, sich in einer Sänfte durch das Viertel der Händler tragen zu lassen und sich alles zu kaufen, was ihr gefiel …
    »Das hier will ich haben, und das hier, und das«, würde sie zu den Händlern sagen, wenn sie sich den kostbarsten Schmuck, die teuersten Kleider und die schönsten Möbel kaufte. Das Geld auszugeben würde ihr jenes Gefühl der Macht verleihen, das sie einst beim Stehlen empfunden hatte. Doch Pfingstrose wusste, dass Reichtum allein ihr nicht genügte. Sie würde Gesellschaft brauchen – am besten die Gesellschaft eines Mannes, wie Spaen- san es gewesen war.
    Ihre neue Schlafkammer würde mit Truhen aus Edelholz möbliert sein, und mit Tischen, die mit Lackarbeiten verziert waren, und mit Wandteppichen aus Brokat und bunt bemalten Trennwänden. Sie, Pfingstrose, würde sich auf seidenen Kissen räkeln, in einem flauschigen roten Kimono aus Satin, und beobachten, wie ein schüchterner junger Mann ins Zimmer kam.
    »Willkommen«, würde sie zu ihm sagen.
    Und der junge Mann – den Pfingstrose nicht nur seines guten Aussehens wegen erwählt hatte, sondern auch deshalb, weil er aus ärmlichen Verhältnissen stammte und deshalb ein unterwürfiges Wesen besaß – würde den Blick voller Ehrfurcht durch das prachtvolle Zimmer schweifen lassen. »Ich fühle mich geehrt, edle Dame«, würde er sagen und niederknien und sich vor ihr verbeugen, als wäre sie die schönste Frau auf der Welt.
    Und dann würde sie die Stricke hervorholen, und die Ketten und die Messer, die Peitsche, die Pistole. »Hab keine Angst«, würde sie zu dem jungen Mann sagen, wenn sie ihn in jene Spielart der körperlichen Liebe einführte, die sie von dem holländischen Barbaren gelernt hatte …
    Auf dem Flur vor Pfingstroses Zimmer knarrten die Fußbodendielen unter schweren Schritten; jemand kam die Treppe aus dem Empfangszimmer hinauf. Pfingstroses Fantasiebild löste sich auf; voller Entsetzen ließ sie den Kamm fallen, als sie in die Wirklichkeit zurückkehrte.
    Minami!
    Sie musste sich verstecken! Sie durfte nicht zulassen, dass Minami sie zu der Feier zerrte, nicht jetzt, da ihr Besucher jeden Augenblick erscheinen konnte! Pfingstrose sprang auf – so plump und unbeholfen, dass sie dabei gegen das Kästchen auf dem Tisch stieß. Der lose Deckel sprang auf. In ihrer Furcht und Panik stöhnte Pfingstrose laut auf. Sie musste die Lampe löschen und aus dem Zimmer verschwinden. Sofort! Andererseits durfte sie nicht zulassen, dass Minami das Kästchen entdeckte und sie dafür bestrafte, dass sie es gestohlen hatte. Vor allen Dingen durfte sie gar nicht erst zulassen, dass Minami ihren Schatz zu sehen bekam, der nun allen Blicken preisgegeben war. In ihrer Verzweiflung wusste Pfingstrose nicht, was sie zuerst tun sollte.
    Ihre Unentschlossenheit wurde ihr zum Verhängnis. Die Tür wurde aufgeschoben. Pfingstrose wartete starr vor Angst, rang unruhig die Hände. Dann aber sah sie ihn , und eine Woge der Erleichterung spülte ihre Furcht und Sorgen fort.
    »Oh, Ihr seid es!«, rief sie.
    Der von Pfingstrose sehnlichst erwartete Besucher trug ein Kleiderbündel unter dem Arm. Er betrat das Zimmer und schob die Tür hinter sich zu. Unwillkürlich schaute Pfingstrose zu dem Kästchen hinüber, das mit offenem Deckel auf dem Tisch stand. Der Blick des Besuchers folgte dem der Kurtisane; dann sah auch er das Kästchen. Rasch trat Pfingstrose zwischen den Mann und ihr kostbarstes Eigentum.
    »Gebt mir das Geld, und Ihr bekommt den Gegenstand zurück«, sagte Pfingstrose mit zittriger Stimme. Sie fühlte sich unsicher, denn die Dinge nahmen einen anderen Verlauf, als sie geplant hatte. Pfingstrose hatte ihren Besucher zuerst ängstigen wollen, indem sie ihm erklärte, den kostbaren Gegenstand gar nicht zu besitzen. Sie hatte die Macht über diesen Mann ausspielen und es genießen wollen. Nun aber hatte sie diesen Vorteil verloren.
    Der Mann trat näher und machte sich daran, das Kleiderbündel auszuwickeln. Offenbar war er unten auf der Feier gewesen; Pfingstrose konnte den Schnaps und den Tabak in seiner Kleidung und seinem Atem riechen. Freudige Erwartung verdrängte alle anderen Empfindungen der Kurtisane. Sie lächelte, hielt dem Mann die Hände hin und wollte ihren Lohn in Empfang nehmen.
    In diesem Augenblick schleuderte der Mann das

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