Die Spur des Verraeters
gefunden hatte, und den damit verbundenen Hinweis auf den christlichen Glauben. Vielleicht führte diese Fährte ja zur Wahrheit, allen Gefahren zum Trotz.
Das Gefängnis von Nagasaki war ein Komplex aus ziegelgedeckten Gebäuden, die terrassenförmig an der Flanke eines Hügels am Stadtrand errichtet waren. Das Gelände war von einer Steinmauer umfasst, aus der hier und da Wachtürme emporragten. In der Wohngegend um das Gefängnis gab es schmale, schmutzige Straßen, in deren Rinnsteinen stinkende Abwässer strömten und die von baufälligen Hütten gesäumt wurden, in denen zerlumpte, heruntergekommene gemeine Bürger mit ihren Familien hausten. Gefängnisse waren Orte des Todes und des Verfalls, in deren Nähe niemand freiwillig wohnte, von den ganz Armen abgesehen, die sich keine bessere Unterkunft leisten konnten. Als Sano vor dem eisenbeschlagenen Tor des Gefängnisses vom Pferd stieg, ließ er den Blick über die Menge schweifen und erblickte eine vertraute Gestalt: den kleinen dicken Wachsoldaten, der in seiner Villa Wache hielt. Es mochte sein, dass der Zufall den Mann hierher geführt hatte, doch Sano vermutete eher, dass der Bursche ihm nachspionierte.
Oder auf eine Gelegenheit wartete, den sôsakan zu töten?
»Ich möchte den Beamten sprechen, der in Nagasaki für die Zerschlagung des Christentums verantwortlich ist«, sagte Sano zu einem der Torwächter.
»Dann müsst Ihr zu Dannoshin Murashige, dem obersten Glaubenswächter. Ich bringe Euch zu ihm.«
Sano band sein Pferd in der Nähe des Tores an und folgte dem Wachsoldaten auf ein weitläufiges Geländestück, auf dem weitere Posten auf schlammigen Gehwegen zwischen Gebäuden mit rissigen, verputzten Mauern patrouillierten. Aus winzigen vergitterten Fenstern drangen Schreie und Stöhnen. Der Wächter führte Sano zwischen Gebäuden hindurch, steinerne Treppen hinauf und durch weitere Tore, bis sie schließlich die höchste Ebene des terrassenförmig angelegten Gefängniskomplexes erreicht hatten. Hier umschlossen frisch verputzte Gebäude mit schmucken Fachwerkmauern und lichten Fenstern einen kleinen Hof. Der Wachmann führte Sano zum größten Gebäude und in ein Zimmer, in dem vielleicht zwei Dutzend Samurai vor einem Podium knieten. Auf diesem Podium stand ein niedriges Schreibpult, hinter dem der oberste Glaubenswächter Dannoshin saß.
Dannoshin war ein untersetzter Mann mittleren Alters mit blasser, feucht aussehender Haut und den Fettpolstern eines Mannes, der an reichliches Essen und zu wenig körperliche Betätigung gewöhnt war. Seine Augen blickten zwischen dicken Fettwülsten hindurch, und bei jeder Kopfbewegung schwabbelte sein Doppelkinn. Sein Mund war voll und rot; die Mundwinkel leicht nach oben gebogen, sodass der Anflug eines ständigen verschlagenen Grinsens auf dem Gesicht des obersten Glaubenswächters zu liegen schien. Er war in einen glänzenden cremefarbenen Seidenkimono gekleidet, der mit malvenfarbenen Iris bedruckt war. Dannoshin wirkte wie ein träger Bürokrat, doch sein herrisches Auftreten und die Disziplin der Samurai straften diesen Eindruck Lügen und verliehen der Versammlung etwas Militärisches.
»Wir müssen unsere Bemühungen verstärken, das Christentum aus Japan zu verbannen.« Dannoshins tiefe, monotone Stimme duldete keinen Widerspruch. Er wandte sich an eine Gruppe von Männern, die zu seiner Rechten saß, und sagte: »In Zukunft werdet ihr zweihundert Bürgern täglich den antichristlichen Eid abnehmen statt wie bisher nur einhundert Personen.«
»Jawohl, Herr«, sagten die Männer im Chor, erhoben sich, verließen den Saal und nahmen Porträts des Gesu mit, des christlichen Gottessohnes, die die Leute buchstäblich mit Füßen treten mussten, um dem christlichen Glauben abzuschwören, sowie Schriftrollen, in die der Name des Betreffenden eingetragen wurde, um den Schwur auf diese Weise zu besiegeln.
Dannoshin wandte sich an seine verbliebenen Untergebenen. »Ihr werdet fünfzig Häuser nach christlichen Kreuzen, Bildern, Schriften und dergleichen durchsuchen. Schaut euch die Bewohner genau an! Und dass ihr mir in jedem Winkel der Häuser nachseht!«
Der Suchtrupp machte sich auf den Weg. Die Männer hatten dünne Speere dabei, die dazu dienten, die Bürger einzuschüchtern und an schwer zugänglichen Stellen nach Gegenständen zu stochern, die mit dem christlichen Glauben zu tun hatten. Der oberste Glaubenswächter verbeugte sich vor Sano. »Seid gegrüßt, sôsakan-sama . Seid Ihr
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