Die Staatsanwältin - Thriller
auseinandergerissen hat.«
»Was soll ich also tun?«, fragte ich.
»Du solltest die guten Erinnerungen an deinen Dad festhalten und daran denken, dass er dich sehr geliebt hat. Nichts kann dir das nehmen. Aber du musst auch die Unzulänglichkeiten deines Vaters anerkennen.
Niemand ist perfekt, Jamie. Wir lernen aus den Fehlern unserer Eltern und schaffen eine bessere Welt für uns und unsere Kinder. Wir verschlimmern ihre Fehler nur, wenn wir versuchen, sie zu vertuschen.«
Ich verließ Gillespies Büro tieftraurig beim Gedanken daran, was ich zu tun hatte. Ich würde meinem Boss von den Beweisen erzählen, die meinen Vater mit Richterin Snowden in Verbindung brachten. Er würde sich moralisch verpflichtet fühlen, diese Erkenntnisse an Mace James weiterzugeben. Im schlimmsten Fall würde Antoine Marshall das Gefängnis als freier Mann verlassen.
Und so betete ich. Nicht dafür, dass ich die Fähigkeit in mir fand, Antoine Marshall zu vergeben. Meine Gebete trugen eher den Geruch des Alten Testaments – dass Antoine Marshall auf die eine oder andere Art die Gerechtigkeit erfahren würde, die er zweifellos verdiente.
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59
Bill Masterson war am Donnerstag nicht im Büro. Laut seiner Assistentin hatte er beschlossen, sich nach seinem großen Vorwahlsieg den Donnerstag und Freitag freizunehmen und sich in der Hütte eines Freundes am Lake Oconee zu entspannen. Es seien, sagte sie, seine ersten freien Tage sei Monaten. Er versuche, ein paar Grundsatzpapiere durchzulesen und sich auf den Wahlkampf im Herbst vorzubereiten. Er hatte Regina Granger die Leitung des Büros übergeben und ging nicht mehr an sein Handy.
Ich verließ das Büro am Mittag, ging nach Hause, zog mich um und holte meinen Ordner mit den Informationen über Richterin Snowden und meinen Dad. Mit etwas Glück war ich gegen vier am Lake Oconee.
Ich dachte daran, L. A. anzurufen, aber ich wusste, er würde versuchen, es mir auszureden. Wenn ihm wirklich etwas an mir lag, würde er es verstehen.
Die »Hütte«, in der Bill Masterson wohnte, stellte sich als schönes, zweistöckiges Haus auf einem waldähnlichen Privatgrundstück heraus, beschattet von zweihundertjährigen Kiefern. Es hatte einen langen, abfallenden Garten, der zum See hinunterführte. Mastersons Wagen, ein Ford Taurus, stand in der Einfahrt. Ich klopfte ein paarmal an die Tür, jedes Mal etwas lauter, und klingelte sogar. Als nichts passierte, wanderte ich ums Haus herum.
Ich entdeckte meinen Boss am Ende eines riesigen Stegs, der sich in den Lake Oconee erstreckte und als Dock für zwei Jet Skis, ein Motorboot und eine kleine weiße Yacht diente. Ich ging den Hügel hinunter, die Akte in der Hand, und rief seinen Namen. Masterson zog die Sonnenbrille hinunter und blinzelte mich darüber hinweg an. Als er mich erkannte und er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, schob er die Sonnenbrille wieder hoch und winkte mir, herunterzukommen.
Er trug nur ausgeleierte Shorts; es fühlte sich unangenehm an, meinen Boss ohne Hemd zu sehen, vor allem, weil niemand Bill Masterson vorwerfen konnte, gut in Form zu sein. Wenn die Wähler ihn jetzt sehen könnten, dachte ich, würden seine Umfragewerte um 20 Prozent fallen. Er war ein haariger Mann, und er hatte entweder haufenweise Sonnencreme aufgetragen, oder er schwitzte wie verrückt bei über dreißig Grad. Unter den Haaren auf seinen Armen, der Brust, dem Bauch und dem Rücken war seine Haut weiß bis auf die Bauarbeiterbräune vom Bizeps abwärts.
Er hatte breite Schultern und eine ausladende Brust, aber der Bauch hing ihm über die Shorts. Er wirkte deswegen aber nicht im Geringsten verlegen – ich bemerkte ein T-Shirt auf dem Steg, aber Masterson machte keine Anstalten, es anzuziehen.
»Jamie! Was für eine schöne Überraschung! Ich wusste nicht, dass wir beide im selben Gewässer fischen.«
Erst als er es sagte, bemerkte ich eine aufgestellte Angel, deren Leine ins Wasser hing. Aber der Boss schien ihr nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken. Um seinen Stuhl herum stapelten sich die Bücher, und er war in seine Studien vertieft gewesen, als ich mich näherte.
»Tut mir leid, Sie zu unterbrechen. Ich weiß, Sie haben nur ein paar Tage, um zu verschnaufen, und ich wäre nicht hier, wenn es kein Notfall wäre.«
Er winkte ab. »Machen Sie sich keine Gedanken. Ich habe mich sowieso langsam einsam gefühlt. Hatte schon Lust, von Tür zu Tür um den See zu gehen und politische Flyer zu verteilen, nur um
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