Die Staatsanwältin - Thriller
werden.«
»Sie haben recht. Deshalb spreche ich ja nur hypothetisch. Aber es wäre auf jeden Fall ein Spaß, dabei zuzusehen.«
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36
Am Dienstag hatte ich das Gefühl, als erlebte ich wieder meinen ersten Tag in der Staatsanwaltschaft, als ich Dinge tun musste, die ich noch nie vorher getan hatte.
Ich fand mich mit zwölf Fallakten vor Gericht wieder, und in jeden Fall hatte sich der Angeklagte auf die eine oder andere Weise schuldig bekannt. Keiner der Fälle gehörte mir. Aber ich war dort, weil Rafael Rivera an diesem Tag verurteilt würde – ein Deal, den Masterson selbst ausgearbeitet hatte. Außerdem war ich für einen meiner befreundeten Kollegen eingesprungen, der meine Fälle übernommen hatte, während ich um meinen Vater trauerte.
Ich wusste, ich musste mir heute für diese geschlossenen Deals kein Bein ausreißen. Mein Job war einfach, dem Richter die Anklagepunkte zu erklären, ihn zu informieren, dass sich der Angeklagte schuldig bekannt hatte, und ein Strafmaß vorzuschlagen. Theoretisch konnte der Richter meine vorgeschlagene Strafe entweder annehmen oder abweisen, aber im Normalfall schloss sich das Gericht fast immer der Empfehlung an, die Staatsanwaltschaft und Verteidigung gemeinsam ausgearbeitet hatten.
Weil Rafael Rivera in einem anderen Gerichtsbezirk untergebracht war, um ihn von den Häftlingen in Milton County fernzuhalten, kam sein Fall als erster dran.
Ich fand, Masterson war Rivera zu weit entgegengekommen, und ich nahm an, dass Masterson deshalb nicht selbst vor Gericht erschienen war – er wollte während seines Wahlkampfs nicht mit diesem Deal gebrandmarkt werden. Nichtsdestotrotz war ich dankbar, dass mir der Chef Rivera abgenommen hatte. Masterson hatte einen Deal geschlossen, dem ich nie zugestimmt hätte, aber zumindest kamen wir jetzt mit der Anklage gegen Tate voran.
Richter Harold Brown war ein großer, dünner Mann, der auf dem Richterstuhl des Kammergerichts saß, solange ich denken konnte. Er war im College Langstreckenläufer gewesen und immer noch stolz darauf, mit sechzig so gut in Form zu sein. Er war zügig und effizient, außer wenn er einen in sein Richterzimmer schleppte und mit seinenGeschichten anfing. Brown war der Typ Richter, der das Rechtssystem am Laufen hielt – er bevorteilte niemanden, weder Staatsanwälte noch die Angeklagten, und er sorgte dafür, dass jedes Gesetz und jedes Prozedere peinlich genau befolgt wurde.
Er setzte sich, begrüßte den Pflichtverteidiger und mich und bat die Wachmänner, den Angeklagten hereinzubringen. Während Rivera langsam zu seinem Platz schlurfte, an Händen und Füßen gefesselt, nahm Richter Brown seine Uhr und den dicken Collegering ab und legte sie vor sich hin. Das war eine seiner kleinen Eigenheiten, die bedeuteten, dass er bereit war anzufangen.
Als ich erklärte, dass wir die Klage wegen Drogenbesitzes und Verkaufsabsicht fallen lassen würden und dass sich Rivera des geringeren Vergehens des Kokainbesitzes schuldig bekennen würde, zog Brown eine Augenbraue hoch. Er war lange genug dabei, um ein abgekartetes Spiel zu erkennen, wenn er eines vor sich hatte. Ich senkte den Blick und las den Rest meiner Notizen ab, damit ich dem Richter nicht in die Augen sehen musste, während ich die empfohlene Strafe erläuterte. Brown kannte wie jeder andere Richter des Kammergerichts meine Prinzipien zum Thema Deals.
»Der Staat empfiehlt für Mr Rivera ein Strafmaß von fünf Jahren Gefängnis, alle bis auf sechzig Tage zur Bewährung ausgesetzt, die bereits verbüßte Zeit wird angerechnet, unter der Voraussetzung, dass Mr Rivera weiterhin in anderen Fällen kooperiert, für die er wertvolle Informationen und Zeugenaussagen liefert. Wir empfehlen außerdem, dass Mr Rivera für zehn Jahre unter Aufsicht gestellt wird.«
Nachdem ich die empfohlenen Bedingungen für die Bewährung einzeln aufgeführt hatte, ließ Richter Brown Rivera aufstehen und ging mit ihm eine ganze Reihe Fragen durch, um sicherzugehen, dass die Absprache freiwillig war. Rivera murmelte all die korrekten Antworten, und Brown beschloss, das Ganze mit einem wohlverdienten Vortrag abzuschließen.
»Sie bekommen einen ausgesprochen guten Deal, Mr Rivera, und Sie sollten sich glücklich schätzen. Aber eines will ich Ihnen sagen, mein Sohn …«
Ich konnte es mir nicht verkneifen, Rivera einen verstohlenen Blickzuzuwerfen, der sich sichtlich dagegen sträubte, »mein Sohn« genannt zu werden.
»… Sie halten sich
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