Die Staatskanzlei - Kriminalroman
einfach furchtbar, was unserem Herrn Heise widerfahren ist. Ich kann es gar nicht fassen. Gestern Nachmittag haben wir noch telefoniert und jetzt ist er tot.“
Wieso unser? Mein Herr Heise war er nie, dachte Wagner.
„Der Innenminister hat mich vor ein paar Minuten angerufen. Krause meint, dass Selbstmord ausgeschlossen ist. Heise wurde ermordet.“
Selbstmord wäre Wagner lieber gewesen. Die Journaille würde schneller Ruhe geben. Dann schämte er sich. Sein Kollege war tot und er dachte an seinen Vorteil.
Der Ministerpräsident hielt seinen Mitarbeitern ein müdes Gesicht entgegen. Das war nicht sein „Guten Morgen, ich pack es an“-Gesicht. Das war sein Zweiundzwanzig–Uhr-Gesicht. Offenbar war Wagner nicht der Einzige, der an diesem Morgen mit Schlafmangel zu kämpfen hatte.
„Wer in Gottes Namen tut so etwas und erschießt meinen besten Mann? Ausgerechnet so kurz vor der Klausurtagung der Regierungsfraktionen. Ich weiß gar nicht, wie wir die ohne ihn hinbekommen sollen.“
Vermutlich besser als mit ihm, lästerte Wagner im Stillen. Die Bezeichnung bester Mann ärgerte ihn. War er nicht der engste Vertraute des Regierungschefs? Ungemütliches Schweigen hing über dem Raum. Jeder hing seinen Gedanken nach. „Wir könnten den Termin verschieben. Jeder hätte Verständnis dafür“, schlug Wagner schließlich vor.
Der Ministerpräsident nickte. „Ein guter Vorschlag. Haders kümmern Sie sich darum. Und weiter? Hat einer von Ihnen eine Idee, wer das Schwein gewesen sein könnte?“
Die Rangordnung sah für den Staatssekretär das erste Wort vor. Und die strikte Einhaltung der Hierarchie hatte für Haders höchste Priorität. Er war ein Bürokratiefanatiker. Stundenlang konnte er sich in den Runden der Führungskräfte über Dienstvorschriften auslassen. Sein zweites Lieblingsthema war die Bedeutung der Interpunktion, die im Internetzeitalter viel zu sehr in den Hintergrund gerückt sei. Jetzt zog er es vor, auf einen fiktiven Punkt hinter dem Ministerpräsidenten zu starren.
Der Chef, sichtlich genervt, seufzte. „Ich merke schon, Sie haben keine Idee, Haders. Der Innenminister erwähnte einen terroristischen Hintergrund. Die radikalen Tierschützer kommen nicht infrage. Sie treiben seit Tagen in Meck-Pomm ihr Unwesen. Wenn es nach mir geht, sollen sie dort bleiben und Randale machen. Soll sich mein Kollege aus Schwerin mit denen herumschlagen. Geschieht dem Altkommunisten, der der ‚guten alten DDR‘ nachtrauert, ganz recht.“
Er schaute herausfordernd in die Runde. Hätte Wagner sich nicht so elend gefühlt, hätte er widersprochen. Nach seinem Dafürhalten war der Ministerpräsident von Meck-Pomm ein Pragmatiker, der einen guten Job machte. Der Regierungssprecher war der einzige Mitarbeiter, von dem der Chef Widerspruch duldete, wenn auch nur wohl dosiert.
„Ich denke an muslimische Fanatiker“, ließ der Ministerpräsident die Runde wissen. „Die Online-Überwachung radikaler Islamisten ohne richterlichen Beschluss steht im Bundesrat an. Unsere Stimmen sind entscheidend. Vielleicht musste Heise deshalb sterben.“
In das erneute Schweigen Haders hinein meldete sich Wagner zu Wort. „Warum dann Heise und nicht Innenminister Krause selbst? Er ist Wortführer im Bundesrat. Außerdem wird Heises Tod am Abstimmungsverhalten des Landes nichts ändern.“
„Natürlich nicht, Wagner. Wir lassen uns nicht erpressen, schon gar nicht von feigen Demokratiegegnern.“ Die Stimme des Chefs klang längst nicht so sicher, wie seine Worte vermuten ließen. Er kratzte sich am Kopf, ein Zeichen, wie übermüdet er war. „Vielleicht steckt ja auch etwas ganz anderes dahinter: Eifersucht zum Beispiel. Heise war ein attraktiver Mann.“
Wenn man kalte Klötze anziehend findet, ätzte Wagner in Gedanken. Dann kam ihm ein Einfall. „Hollmann hat mir gestern Abend von einer Rumänenbande erzählt, die seit Wochen ihr Unwesen in der Landeshauptstadt treibt.“
Der Ministerpräsident nahm den Ball dankbar auf. „Der Innenminister erwähnte so etwas Ähnliches. Scheinen brutale Kerle zu sein. Nicht ohne Grund hat Niedersachsen gegen den EU-Beitritt von Rumänien votiert. Aber die von der anderen Seite waren mal wieder oberschlau, haben uns Rückständigkeit und Vorurteile vorgeworfen. Jetzt haben die redlichen Bürger im Land das Nachsehen. Aber das interessiert die Kerle von der Opposition nicht. Die haben immer nur die Randgruppen im Fokus, die Langzeitarbeitslosen, die Bildungsfernen, die Zuwanderer
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