Die Staatskanzlei - Kriminalroman
seinen Konten verbucht wurde.
Baumgart zückte sein Notizbuch, vermerkte in seiner nur für ihn selbst leserlichen Schrift einige Stichworte. Was zu tun war, stellte ihn nicht von Schwierigkeiten. Sein engmaschiges Netzwerk zur Politik zahlte sich immer wieder aus. Aber das würde er dem Russen nicht stecken. Es würde seinen Anteil am Kuchen nur verringern.
Über die nächsten Arbeitsschritte wurden sie sich schnell einig. Das Feilschen um die Aufteilung der Gewinne aus dem Geschäft hingegen zog sich eine ganze Weile hin. Am Ende setzte Baumgart sich durch. Als er nach der Rechnung verlangte, brachte sein Gegenüber den Mordfall Heise ins Spiel. „Weiß man schon Näheres?“, wollte er wissen.
Baumgart schüttelte den Kopf. „Der Mord ist ja gerade erst einen Tag alt, so schnell sind die von der Polizei nicht.“
„Ich möchte informiert werden, wenn Sie etwas erfahren. Strecken Sie Ihre Fühler in die Politik aus. Es interessiert mich, was im Hintergrund läuft.“
„Mich auch, schließlich war Heise auch mein Mann“, knurrte Baumgart.
Der Russe atmete schwer, als er sich erhob. „Wir brauchen einen neuen Kontaktmann zur Landesregierung.“
„Ich kümmere mich darum“, versprach Baumgart. Er verschwieg, dass Heise bei Weitem nicht sein einziger Verbindungsmann zur Politik war. Und schon gar nicht der wichtigste. Sein Netzwerk war wie eine Krake und reichte nicht nur in die Regierungsparteien und Landesministerien hinein. In seinem gut gehüteten Notizblock befanden sich Telefonnummern von Regierungsmitgliedern, Oppositionspolitikern, Landräten und Abgeordneten aus Hannover, Berlin und Brüssel. Sein engster Kontaktmann zur Landespolitik verfügte über weitreichende Beziehungen bis hin zur Regierungsspitze. Den Namen preiszugeben, kam nicht infrage. Auch wenn sie Geschäfte miteinander machten, traute er seinem Partner nicht über den Weg.
7
H ANNOVER
Der Sturm hatte nachgelassen und der Sonne Platz gemacht. Die Wolkendecke war aufgerissen und bescherte den Hannoveranern nach vielen grauen Tagen endlich wieder blauen Himmel. Verena Hauser parkte ihren BMW auf dem Parkplatz vor der zehn Stockwerk hohen heruntergekommenen Wohnanlage in Vahrenheide. Der Stadtteil galt als problematisch. Ein Drittel der Bewohner, darunter viele Migranten, lebten von Hartz IV. Die Jugendgewalt war überdurchschnittlich hoch, die Zahl der Alkoholkranken ebenfalls. In diesem Umfeld hätte sie die Exfrau eines gut verdienenden Ministerialbeamten nicht vermutet.
Im Foyer, auf dem Fußboden leere Dosen, Werbezettel und alte Zeitungen, lümmelten Jugendliche, die eigentlich in der Schule sein müssten. Es schien niemanden zu kümmern, dass sie bereits am Vormittag Alkohol tranken. Warum sorgten ihre Eltern nicht dafür, dass sie zur Schule gingen? Verena wurde mit aggressiven Blicken bedacht und fragte sich, ob ihr Auto Kratzer davontragen würde. Jetzt bedauerte sie, dass sie kein Dienstfahrzeug genommen hatte. Im Fahrstuhl roch es nach Urin, an die Wände hatte jemand „Nazis raus“ geschrieben.
Verena wünschte, sie hätte das vor ihr liegende Gespräch bereits hinter sich gebracht. Die erste Begegnung mit den nächsten Angehörigen eines Mordopfers war der unangenehmste Teil ihrer Arbeit. Die Reaktionen waren nicht vorhersehbar. Von hysterischen Ausbrüchen über Schockreaktionen und Heulkrämpfe bis zur totalen Teilnahmslosigkeit hatte sie alles erlebt.
In diesem Fall war es besonders kompliziert. Irene Heise war seit drei Jahren geschieden. Besonders bei verkorksten Beziehungen spielten sich manchmal Riesendramen ab. Alles kam wieder hoch: Schuldgefühle, unbewältigte Wut und Trauer um vielfach verpasste Chancen, die Ehe doch noch zu retten.
Ihr Klingeln verhallte ungehört. Sie klingelte ein zweites, dann ein drittes Mal. Kein Geräusch drang aus der Wohnung. Stattdessen wurde die Tür zur Nachbarwohnung geöffnet. Ein älterer Mann in ausgeleierten, fleckigen Hosen streckte den Kopf heraus. Seine schlohweißen Haare standen zu Berge. „Die muss da sein, am besten Sie klopfen laut gegen die Tür. Wenn die pennt, hört die nichts“, knurrte er, bevor er wieder in seiner Wohnung verschwand.
Und tatsächlich, auf ihr lautstarkes Hämmern hin waren Schritte zu hören. Nach einer Weile wurde endlich die Tür geöffnet. Sie musste Frau Heise aus dem Schlaf gerissen haben. Ihre braunen, mit grauen Strähnen durchsetzten Haare waren zerzaust, das Gesicht zerknautscht. Der Gürtel des Bademantels war nur lose
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