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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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zu nehmen. Jack fand das interessant, überaus interessant.
    Als Glaucous sich umwandte, um seiner Partnerin irgendetwas mitzuteilen, konnte Jack sich unerwartet aus der Erstarrung lösen. Und da die süße Melasse ihn jetzt nicht mehr umfing, erkannte er etwas, auf das er in keiner Weise vorbereitet war: Mit jedem Atemzug verbreitete das Paar ein solches Grauen, eine so widerwärtige, bösartige Atmosphäre, als erzeugten sie einen giftigen, tödlichen Luftstrom. Kurz entschlossen trat Jack die Flucht nach vorn an, huschte zwischen anderen Weltlinien hin und her, drang in andere Personen ein – verband seine Seele unmerklich mit anderen Geistern.
    Doch selbst hier konnte man ihn aufspüren und nach ihm schnappen .
    Glaucous zog die benachbarten Weltlinien an die eigene heran, griff unmittelbar in die Situation ein, anstatt davor zu flüchten. Derartige Eingriffe kannte Jack nicht einmal vom Hörensagen, aber er war ja auch noch jung. Er konzentrierte sich auf die Macht und die Fähigkeiten dieses Mannes und versuchte sich zu einer Möglichkeit vorzutasten, sich Glaucous erneut zu entziehen. Glaucous war zwar stark, aber Jack war geübter als er darin, alle zugänglichen Pfade auszuloten, trotz der Melasse, die ihn festhalten wollte. Doch er ließ sich nicht festhalten, würde auch diesem Paar nicht erlauben, ihn ein für alle Mal einzufangen.
    Glaucous senkte den Blick. »Du willst flüchten, aber alle Pfade scheinen dir gleich gut geeignet. Welchen Weg willst du
einschlagen? Ich bin so glücklich dran, dass mir alle Wege gefallen. Und deshalb gefallen sie auch dir .« Über die rundliche Schulter sah er seine Gefährtin an. »Penelope, er ist noch nicht überzeugt. Er möchte uns verlassen. Leiste ein bisschen Überzeugungsarbeit. «
    Die große Frau legte den Kopf in den Stiernacken und zuckte so mit den Schultern, dass sich ihr langer brauner Regenmantel öffnete und auf den Boden glitt. Die breiten nackten Schultern glänzten feucht. Die Haut wies Beulen auf, die an aufgehenden Hefeteig erinnerten.
    Jack schaffte es nicht, den Blick abzuwenden.
    Unter dem Mantel hatte sie zwar nichts an, war aber trotzdem nicht nackt. Eine dunkle Masse bedeckte die Blöße ihres unförmigen Leibs: Er war mit krabbelnden Wespen übersät. Zu Tausenden bewegten sich die gelb ummantelten Insekten in langsamen, auf und ab flutenden Wellen über ihr schlaffes Fleisch, sammelten sich in summenden Grüppchen an Knien und Fersen, bildeten ein lebendes Gewand.
    Das eine, was Jacks Existenz wirklich gefährden, das eine Schicksal, das er nicht besiegen konnte, war ein Schwarm wütender, stechender Wespen. Schmerzlich hatte er am eigenen Leib erfahren müssen, dass Insektenkolonien, Wespennester und Bienenstöcke über ihr eigenes verschlungenes Netz verfügten, über Tausende individueller Weltlinien, die sich mit wilder Entschlossenheit zusammenballen und wie zu lange gekochte Spaghetti verklumpen konnten. Wespen, Bienen und selbst Ameisen hatten die Macht, seine Entscheidungen durch ihr Ausschwärmen zu blockieren, seine Sprünge von Weltlinie zu Weltlinie zu verhindern. Die Wespen hatten dazu beigetragen, ihm die Grenzen seiner Fähigkeiten aufzuzeigen. Zugleich
hatten sie ihn für ihr Gift sensibilisiert: Er reagierte allergisch auf ihre Stiche. Ein einziger Stich würde ausreichen, um ihn aus dem Gefecht zu ziehen.
    Und sie wissen es!
    Jetzt stiegen die Wespen wie dunkler Nebel vom Körper der Frau auf, schwärmten aus, schwirrten im Zimmer umher. Ohne den Schutz der Wespen sah Penelope nur noch wie ein Fleischklumpen aus; an den Beinen, die so dick wie Baumstämme wirkten, schwabbelten Fettwülste. Doch sie war keineswegs verlegen. Ihr leeres Lächeln veränderte sich nicht.
    Er hatte keine Möglichkeit, sich diesen herumschwirrenden, durch das Zimmer schießenden Wespen zu entziehen.
    »Penelope, Liebes, lass uns das tun, was wir am besten können«, sagte Glaucous. »Lass uns diesem jungen Mann helfen.«
    Für ein Geschöpf ihres Umfangs bewegte Penelope sich recht schnell, doch Glaucous war schneller. Hände schnappten nach Jack, Flügel surrten, während die festen kleinen Leiber mit den schönen Streifen lange Stacheln ausfuhren und hasserfüllte schwarze Facettenaugen ihn ins Visier nahmen, bis es Jack so vorkam, als hätten Menschen und Insekten sich symbiotisch miteinander verbunden.
    Plötzlich tat es einen Schlag. Es klang so, als würden riesige Spielkarten gemischt und danach auf den Tisch geknallt. Gleich darauf

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