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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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jetzt haben. Ist ja eigentlich gar nicht so schwer.«
    Nach einer Weile kamen Jebrassy weitere Bedenken. »Sangmer gehört gar nicht zur alten Art«, sagte er, während sie die Käfer aus einem kleinen Beutel mit Trockenharz und Getreideschrot fütterten. Die Käfer sangen leise, während sie kauten. Die Älteren mochten offenbar kein Getreideschrot, denn sie trennten die getrockneten Körner vom Rest und stupsten sie über die Tischkante.
    »Na und?«, erwiderte Tiadba. »Vielleicht war er ein Hochgewachsener. «
    »Manche dieser neuen Wörter sind wirklich so seltsam, dass ich sie kaum aussprechen kann. Was bedeutet das hier?«
    »Ich glaube, es ist eine Zahl. Eine sehr hohe Zahl.«
    »Und was ist ein Lichtjahr ?«
    »Wir werden’s beim Lesen schon herausbekommen. Lies einfach weiter«, befahl sie und schnippte gegen sein winziges Ohr.
    Jetzt machte Jebrassy sich ernsthaft an die Arbeit. Wenn er ins Stocken geriet, nahm Tiadba den Faden auf. Gemeinsam lasen sie das Vorwort – die Einleitung. Wie unschuldige Hortkinder setzten sie voraus, dass jedes Wort wahr sein musste, obwohl so vieles ihr Begriffsvermögen überstieg. Manchmal waren es nur Laute, die sie den Seiten entnahmen, aber auf irgendeine Weise ergaben sie einen unheimlichen, faszinierenden Sinn, so als teilten Tiadba und Jebrassy instinktiv etwas mit dem Verfasser und den Leuten, die er beschrieb.
    Mit einem Schiff, das verrückt spielte, glitten wir auf falschem Kurs zwischen zerfallenden Galaxien dahin – starben, erwachten zu neuem Leben und wünschten uns gleich wieder zu sterben – und kehrten auf noch schwierigerem Kurs nach Hause zurück, an Bord das, was die Erde vielleicht retten würde. Doch heimgekehrt, mussten wir feststellen, dass unser Sieg uns isoliert hatte. Man bewunderte unseren Wahnsinn. Jetzt waren wir von denen umgeben, wurden von jenen verehrt, die wir früher als Todfeinde betrachtet und gehasst hatten.
    Aufgrund all dieser Ereignisse erlangte ich Macht und ein bisschen Freiheit – und gab all das bald wieder der Liebe wegen auf, verlor aber auch das, was ich liebte. So viel zu der Reise, die mich ins Reich der Shen führte, jener Art, die behauptete, nicht von der Menschheit abzustammen und mit
keinem Volk innerhalb der fünfhundert Galaxien verwandt zu sein.
    All das erzähle ich heute, um in einer Kalpa, die sich kaum für irgendetwas jenseits ihrer Mauern interessiert, Begeisterung zu wecken. Denn ich beantrage eine zweite Beurlaubung – hoffe auf Erlaubnis oder sogar den Auftrag, eine letzte Reise zu unternehmen. Eine viel kürzere, aber auch weitaus gefährlichere Reise als die erste, von der gewiss niemand von uns zurückkehren wird.
    Jebrassy holte tief Luft. »Diese Geschichte geht bestimmt nicht gut aus.«
    »Da magst du Recht haben.«
    Vorsichtig schob Jebrassy einen Buchstabenkäfer zur Seite, der auf das Buch gekrabbelt war. Die Finger miteinander verhakt, blätterten er und Tiadba zur nächsten Seite weiter. Die folgenden Passagen waren schwieriger zu entschlüsseln, zumal die Käfer, die es satt hatten, ständig hin und her geschoben zu werden, keine sinnvollen Buchstabenfolgen mehr bilden wollten.
    Irgendwann fielen Jebrassy die Augen zu, und er döste ein. Nachdem Tiadba sich vergewissert hatte, dass er tatsächlich schlief, blätterte sie eine ganze Fingerbreite vor. Sie hatte das Gefühl, den Inhalt des Buches instinktiv erfassen zu können – die Verbindungen, die es herstellte, die Gestalt der Erzählung – und intuitiv genau die Seiten aufzuschlagen, die ihre Fragen beantworteten, zumindest annähernd.
    Meine Frau – eine Verdichtung verlorener Prinzipien … Ein strahlender Schein, den ewig Schatten umgeben wird …
Ishanaxade – die eigensinnigste, intelligenteste und einflussreichste Frau, die ich je gekannt, mit der ich mich je zusammengetan und immer wieder versöhnt habe – hat sogar körperliche Gestalt angenommen. In unserem gemeinsamen Leben strebte sie den Idealzustand durch Zwist an, den Feinschliff durch Hader, den Ausgleich durch Sieg und Niederlage. Sie behauptete, all das sei der größte Beitrag des vom Halbgott Simia abstammenden Geschlechts zum menschlichen Triumph über das Trillennium. Sie schien sich dessen so merkwürdig sicher zu sein, dass ich nicht wagte, ihre Behauptungen anzufechten.
    Wie alle Devas sah sie sich mit dem Geschlecht Simia verbunden. Selbst diese Tochter eines Großen Eidolon, auf ihre Weise einzigartig, klammerte sich an die Familien irgendeiner

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