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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Käfer.«
    Tiadba reichte ihm einen weichen grauen Stift, wie man ihn für das fein gewebte Schütteltuch verwendete, öffnete das erste Gefäß, stellte es auf den Kopf und leerte es aus. Die langen,
schwarz glänzenden Käfer, die leuchtend blaue Augen und auf jeder Seite fünf Beine hatten, fielen heraus und gaben leise Töne von sich. Die Enge im Gefäß hatte ihnen nichts ausgemacht, doch jetzt waren sie ganz wild darauf, sich zu verteilen, Grüppchen zu bilden und ihre endlosen Wortspiele fortzusetzen. In den beiden anderen Gefäßen hatten die Käfer sich bereits zu Haufen geordnet, streckten die Köpfe zu dem Deckel mit den Luftlöchern empor und zuckten mit den kurzen Fühlern. Tiadba ließ auch sie frei. Je mehr Käfer, desto länger die Wörter.
    Tiadba nahm sich ebenfalls einen Stift und setzte sich neben Jebrassy. Während die alten Käfer sich zu parallelen Reihen aufstellten, hielt Jebrassy schon einfache Buchstabenkombinationen fest. Ehrfürchtig schlug Tiadba das erste Buch auf.
     
    Es vergingen zwei Zyklen schwerer, ermüdender Arbeit, bis Tiadba irgendwelche Spekulationen über den Text zuließ. Jebrassy wusste bereits, dass darin der Name Sangmer vorkam. Er hatte sich in der Übersetzung des alten Alphabets als der Geschicktere von beiden erwiesen. Doch es wurde schnell klar, dass das Buch nicht nur von Sangmer handelte , sondern dass er es sogar selbst verfasst hatte, was beide überraschte.
    »Wie mag das sein, wenn man die eigenen Abenteuer tatsächlich aufschreibt?«, überlegte Tiadba, während sie ein Tuchende ausschüttelten, um Buchstaben zu löschen. Hier hatten sie einige der von den Käfern gebildeten Buchstabenfolgen falsch notiert und sie folglich auch falsch übersetzt. Grauer, vom Schreibstift verursachter Staub rieselte in einer dünnen Wolke zu Boden.
    »Dazu muss man ja erst mal Abenteuer erleben«, bemerkte Jebrassy trocken. »Unsere Art ist zu unterwürfig, um sich solche Freiheiten zu erlauben.« Er lehnte sich gähnend zurück und streckte sich halb aus – eine offene Einladung an Tiadba, ihn zu verführen.
    »Unsinn. Ich gehöre ja auch dazu und bin nicht unterwürfig. Und du auch nicht.«
    »Nein. Allerdings wär’s mir peinlich, mein Leben von Anfang bis Ende aufzuschreiben, denn es wäre für niemanden von Interesse. Zumindest jetzt noch nicht. Es wäre nicht gerechtfertigt. «
    »Vermutlich würde man nur die schönen Dinge aufschreiben«, sinnierte Tiadba. »Sonst würden die Leser ja … Hab ich gerade ein Wort erfunden?«, fragte sie angenehm überrascht. »Sonst würden die Leser ja denken, dass sie ihre Zeit auch angenehmer verbringen könnten. Zum Beispiel damit …«
    Als sie sich neben Jebrassy legte, stellte er erfreut fest, dass er sie immer noch von der Arbeit ablenken konnte – wenn auch nur für kurze Zeit.
     
    Kurz vor Anbruch der vierten Wachphase – der künstliche Himmel wurde bereits hell – konnten sie die ersten Abschnitte des Buches weitgehend verstehen.
    Da ihnen nicht recht klar gewesen war, wie man mit einem Buch verfährt, hatten sie es erst an beiden Enden versucht und danach verwirrt bis zur Mitte durchgeblättert. Nach und nach hatten sie gemerkt, dass dieses Buch völlig anders war als die Geschichten, die die Alten dem Nachwuchs erzählten, denn die begannen stets in der Mitte, in einem gefährlichen Augenblick, und führten erst nach weiteren Abenteuern zum Anfang, der
erklärte, was all diese Abenteuer zu bedeuten hatten. Die Geschichten der alten Art waren wie Rätsel aufgebaut. Doch dieses Buch begann tatsächlich vorne, man musste nur den Deckel von rechts nach links klappen. Danach setzte es sich fort und schloss ganz hinten, und dann klappte man den Deckel von links nach rechts zu. Nach Übertragung der Buchstaben fiel die Übersetzung gar nicht so schwer, denn die Sprache unterschied sich nicht sehr von der Tiadbas und Jebrassys. Das fand Jebrassy eigenartig, schließlich war inzwischen viel Zeit vergangen. »Angeblich ist dieses Buch doch so alt. Wie kommt es, dass wir für so vieles noch dieselben Wörter verwenden?«
    »Wenn es uns zu fremd wäre, könnten wir es gar nicht lesen«, erwiderte Tiadba. »Und jemand will, dass wir es tun. Kann auch sein, dass man uns alle bis jetzt bewusst daran gehindert hat und wir beide einfach nicht eingepasst sind.« Einpassen war ein Wort, mit dem man normalerweise die problemlose Einbürgerung der Kleinen in die Welt der Paten beschrieb. »Komm, wir lesen mal laut vor, was wir bis

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