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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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erstatten wirst, wenn er dich vorlädt.«
    »Selbstverständlich.«
    Der Astyanax ließ nicht erkennen, dass die Unterredung damit beendet war. Etwas in der Luft der Kammer veränderte sich so, dass die Angelins vibrierten und nur noch verschwommen auszumachen waren, was bei ihnen eine hohe Alarmstufe signalisierte. So verblüfft, dass er zurückfuhr, wurde Ghentun klar, dass er jetzt das ursprüngliche Selbst des Stadtfürsten vor sich hatte. Dieses Selbst griff unmittelbar ein, wenn es auch durch sein Epitom sprach – das überfordert wirkte und so hell aufstrahlte, dass der Glanz Ghentun blendete. Doch die Worte, die es äußerte, kamen aus dem Innersten des Stadtfürsten und klangen nicht mehr so provozierend, sondern geradezu locker.
    Offenbar selbst überrascht über diese beispiellose Vertraulichkeit, verfolgten die Angelins Ghentuns Reaktion mit ganzer Aufmerksamkeit, als wollten sie ihn vor unangemessenem Verhalten warnen. Die Audienz hatte sich in etwas verwandelt, das einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe ähnelte, und das konnten die Angelins kaum ertragen.
    »Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an die Zeit, als der Bibliothekar der Deva Polybiblios war«, sagte der Stadtfürst. »Im Vergleich zu dem, was er jetzt darstellt, war er eine kleine Nummer, als er bei uns auftauchte. Und er hat uns neben der Gnade des Überlebens auch jede Menge Probleme beschert. Ich habe den Bibliothekar unterstützt, später zu lenken versucht und ihn danach erneut unterstützt. Habe mich bemüht,
seine Pläne zu begreifen, die Art, wie er denkt – einfach alles. Doch es ist mir nicht gelungen. Selbst zwischen den Großen Eidola herrscht Ungleichheit, und ich war ihm zweifellos unterlegen. Dennoch hatten die Stadtfürsten gewissen Einfluss, denn der Bibliothekar hätte das, was uns von der Zeit noch geblieben ist, längst zerstört, hätten sie dem nicht entgegengewirkt. So konnte die Kalpa noch einige Hundert Millionen Jahre weiter überleben. Selbstverständlich in stark ausgeprägter Gleichförmigkeit – so als hätte sie nach unbekümmerter Jugend und ewig langen Jahren der Reife den Ruhestand erreicht. «
    Eine einfache Projektion tauchte zwischen ihnen auf: drei Teile eines verschlungenen, rätselhaften Objekts. Als sie sich zusammenfügten, bildeten sie eine mehrdimensionale Kugel, die kleiner war als Ghentuns geballte Faust.
    »Ich überlasse dir einen Speicher der Erinnerungen, Hüter. Eine Botschaft, die man übermitteln kann, wenn man so will. Der Speicher wird wieder erscheinen, wenn die Zeit dafür gekommen ist, das heißt: wenn keine Zeit mehr existiert. Bis dahin wird er in die Tiefe sinken, außer Sichtweite.«
    Unwillkürlich konzentrierte sich Ghentun zunächst auf die linke Seite des rätselhaften Objekts, dann auf die rechte. Schleifenartige, miteinander verflochtene Bänder wanden sich um ein Kreuz, und all das drehte sich und wirbelte um einen Mittelpunkt, der aus … Leere bestand. Diese Leere zog Ghentun an und fesselte für unbestimmte Zeit seine Gedanken, obwohl er der volltönenden, alles beherrschenden Stimme des Astyanax auch weiterhin lauschte. Während er seine Geschichte erzählte, die Ghentun gleich wieder entglitt, um sich in seinem Unbewussten festzusetzen, fand er den Mut zu einer Frage. Allerdings
begann er in Anbetracht der eigenen Dreistigkeit zu zittern. »Warum habt Ihr sie fortgeschickt?«
    Die Antwort des Astyanax blieb ihm unmittelbar im Gedächtnis haften, auch wenn alles andere schnell verblasste.
    »Ich bezweifle, dass du dir ein Eidolon als demütig vorstellen kannst, Instandsetzer. Doch in all meinen Erscheinungen habe ich versucht, mich in Demut zu üben. Ich sah eine große Gefahr auf die Kalpa zukommen. Hätte man alle Teile Babels zusammengefügt, hätte es das Ende der Kalpa und alles anderen bedeutet. Die Vereinigung aller Teile, die Vollendung von Babel, hätte die letzten großen Mächte unseres Kosmos dazu verlockt, noch einmal ganz von vorn anzufangen . Brahma, die bewegte Ruhe, die allem innewohnt, wäre neu erwacht. Mnemosyne, die alle Dinge miteinander verbindet und eine Zeit lang unter uns wandelte, hätte ihre wahre Bestimmung neu entdeckt. Shiva hätte ekstatisch den Tanz der Zerstörung vollführt. Verstehst du, was ein Babel ist, Hüter?«
    Als der Astyanax seinen Umhang berührte, sah Ghentun, wie Homunculi – Diener Babels – Wendeltreppen erklommen, die von einer Empore zur nächsten reichten. Diese Vorbauten waren reihenweise an einer Wand

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