Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Shen-Selbste abzustreifen und die Einheit seiner Deva-Wesenheit wiederherzustellen. Ich jedoch wanderte an den feinkörnigen Säumen des Beckens entlang, in dem die Shen ihre Entdeckungen lagerten. In diesem Becken, das unter dem Lichtband des größten Ringsterns wie ein glatter Ozean aus Jade schimmerte, lagen die gebündelten Schicksalsprotokolle von all den Reisen, die die Shen während der Zeit der Leuchtenden Pracht unternommen hatten, vor dem Ende der Schöpfung. Schon lange waren all diese Informationen verstümmelt und unwiderruflich zerstört, doch immer noch voller Wunder.
    Ich suchte Stille, zweifellos eine einsame Art, sich inneren Frieden zu verschaffen, aber immer noch besser, als weiter über unseren nahezu sicheren Untergang im Chaos nachzudenken.
    Währenddessen unterhielt sich meine Besatzung damit, die Schreine aufzusuchen, die von den großen Leistungen der Shen kündeten. Junge menschliche Sucher hatten sie errichtet. Diese Sucher waren aus Welten hierhergekommen, die heute längst vom Chaos verschlungen sind. Die Shen akzeptierten keine Geschenke und auch keine Huldigungen jedweder Art. Ihr Stoizismus ging so weit, dass sie Gaben erst gar nicht zur Kenntnis nahmen, sie weder ausdrücklich ablehnten noch vernichteten. Und so wurden diese Monumente einfach einem malerischen Verfall überlassen; sie
blieben stehen oder zerfielen ganz nach den wechselhaften Launen dieses gigantischen Pseudo-Planeten.
    Die Shen waren die Ersten gewesen, die die fünfhundert lebenden Galaxien kartiert hatten. Die Ersten, die aus den nutzlosen Spiralarmen sterbender Sonnen Ringsterne schufen. In vielerlei Hinsicht hatten sie Pionierarbeit geleistet. Und hier lag nun dieses tote, glitzernde Meer der Entdeckungen und des Wissens, klatschte leise auf einen feinsandigen Strand und spottete allen, die je nach Ruhm gestrebt hatten.
    Nur von diesen düsteren Gedanken begleitet, streifte ich meine Gewänder ab und watete zu den kühlen silbernen Vektoren hinaus, spürte, wie sie wabernden Kristallen gleich meine Fersen umspülten, so als suchten sie auf der Grundlage meiner Anweisungen nach Erleuchtung. Dabei wären sie gar nicht fähig gewesen, meine Gedanken mit mir zu teilen oder von mir geäußerte Anweisungen in sich aufzunehmen. Enttäuscht wispernd, zogen sie sich schließlich zurück. Dieses wirre Gemurmel war gerade noch wahrnehmbar und weckte die Illusion, sie könnten vielleicht wirklich noch einmal längst verschollene Geschichten erzählen. Die Melancholie, die sie ausstrahlten, passte wunderbar zu meiner eigenen Stimmung, als wäre sie nur für mich bestimmt. So empfand ich es jedenfalls, bis ich etwas sah, das ich anfangs für die kleine Gestalt einer jungen Frau hielt. Aus etwa einer Meile Entfernung kam sie am Strand entlang auf mich zu.
    Doch wie sollte das möglich sein: eine offenbar menschliche Gestalt auf einer Welt, wo nur meine Besatzung mit Fug und Recht behaupten konnte, zur menschlichen Gattung
zu zählen? Meine Leute waren allesamt bescheidene Instandsetzer. Und dann war da natürlich noch der Deva Polybiblios.
    Das Mädchen hätte eine junge Instandsetzerin sein können, doch schon seit vielen Billionen Jahren kam kein Angehöriger meiner Art mehr in dieser Gestalt auf die Welt oder verbrachte darin Kindheit und Jugend.
    Als sie näher kam, watete ich zum Ufer, kniete mich an den Rand des Beckens und strich mit der Hand über die winzigen runden Objekte, die hier angespült worden waren. Sie leuchteten in sanftem Grün. Hilflos beobachtete ich diese Kindfrau aus den Augenwinkeln heraus. Ich spürte, dass mit ihr etwas auf mich zukam, das ich niemals mehr würde rückgängig machen können.
    Doch ich vermochte mich nicht zurückzuziehen.
    »Bist du der Pilger?«, fragte das Kind, als es mir so nahe war, dass ich seine Stimme über das Geflüster der Vektoren hinweg hören konnte.
    »Manche nennen mich so. Wer warst du früher?« Ich dachte, die Kindfrau sei vielleicht ein Überbleibsel aus der Geschichte der Vektoren, und der helle Aufruhr, den ich im Meer verursacht hatte, habe sie wohl in die Gegenwart zurückgeholt – ein Fetzen abgelegter Haut, herbeigezaubert von Kräften, die das Begriffsvermögen eines Instandsetzers weit überstiegen.
    »Ich bin, nicht war. Aber ich habe noch keinen vollständigen Namen. Die Shen haben mich einem Menschen anvertraut, den ich Vater nenne. Er hat die Teile, aus denen ich zusammengesetzt bin, aus diesem Meer geborgen, genau wie diese kleinen Dinger am

Weitere Kostenlose Bücher