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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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später schon. Vielleicht verschlinge ich dich dann, Pilger.« Jetzt wirkte sie sehr reif, und ihre tiefen goldenen Augen sahen mich unverschämt an. »Vielleicht werde ich auf deinem Schiff meinen
wahren Namen erfahren. Vielleicht hilfst du meinem Vater dabei, diesen Namen für mich zu finden.«
    Ich war längst bis über beide Ohren in sie verliebt.
    Erschöpft blickte Tiadba sich im Kreis ihrer Gefährten um. Die Geschichte enthielt so vieles, das sie einfach nicht begreifen konnte, so dass in ihrem Kopf alles durcheinanderwirbelte. Auch ihre Gefährten wirkten verwirrt und schlugen sich mit den Rätseln und Wörtern herum, die weit über ihren eigenen Erfahrungshorizont hinausreichten. Pahtun brummte leise und schüttelte den großen Kopf. »Es ist eine sehr alte Geschichte«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich irgendein Wort glauben soll.«
    »Aber so steht es da drin«, entgegnete Tiadba trotzig.
    »Oh, das bezweifle ich ja gar nicht. Es gibt so viele Geschichten, wie es Marschteilnehmer gibt. Ich habe mich oft gefragt, wie die Eidola zu dem wurden, was sie sind. Und wie Ishanaxade zu dem wurde, was sie inzwischen ist … Aber das sind andere Geschichten, und vielleicht weiß ich noch immer nicht, was wahr ist und was nicht.«
    »Irgendwie ergibt es schon einen Sinn«, sagte Nico tapfer. »Wir müssen die Bücher später noch einmal lesen, um zu sehen, ob die Geschichten sich verändern.«
    »Ich hab nicht das Gefühl, dass die Geschichten sich verändern«, erklärte Tiadba nicht zum ersten Mal. »Vielleicht verstehe ich sie nur anders als früher.«
    »Ist an der Zeit, dass du uns allen die alte Schrift beibringst, damit wir die Bücher selbst lesen können«, sagte Denbord mit Nachdruck.
    »Ja, das wäre schön«, bestärkten ihn Herza und Frinna, was Tiadba verblüffte.
    »Tolle Aussichten!« Macht gähnte.
    »Falls noch Zeit dazu bleibt«, warf Pahtun ein. »Die Anzüge sind bald fertig.«
     
    Zum ersten Mal, seit sie das Ausbildungslager verlassen und die Grenze des Realen überschritten hatten, überkam Tiadba so etwas wie ein Schlummer, der mit festem Schlaf nichts gemein hatte. Sie wusste nicht, ob sie träumte oder nur eine seltsame Erinnerung in ihr hochkam. Jedenfalls hatte sie das Gefühl, sich in einem großen Raum zu befinden, umgeben von Bücherregalen, die zwei- oder dreimal so hoch waren wie die Regale im oberen Teil der Ebenen. Sie sah vier Frauen – nach ihren Maßstäben große Frauen, doch wie konnte sie das beurteilen? Zumindest war sie im Verhältnis zu diesen Frauen klein. Sie wuselten um Tiadba herum und unterhielten sich miteinander. Offenbar machten sie sich große Sorgen um irgendetwas.
     
    Als sie keuchend aus der Trance hochfuhr und aufblickte, sah sie, dass Pahtun Teile von Schutzpanzern aus dem rotierenden Astgewirr im Mittelpunkt der Laube herausfischte und ihre neuen Anzüge zusammenfügte. Er stellte sie aufrecht hin und versah die Rümpfe mit Gliedmaßen. Dazu benutzte er eine kleine Kugel, die er mit dem Blütenfinger führte. Während dieser Arbeit pfiff er vor sich hin – allerdings hätte Tiadba diese Töne nicht als Melodie bezeichnet. Als er merkte, dass sie ihn beobachtete, hielt er inne, zwinkerte ihr zu und fasste sich an die Nase. Dennoch wirkte er besorgt, falls sie
die Mienen von Hochgewachsenen überhaupt richtig deuten konnte.
    Während die Gruppe sich rings um die neu zusammengefügten Schutzanzüge versammelte, umkreiste Pahtun sein Werk, hob und senkte die Hände und verlieh auf diese Weise jedem Schutzanzug Glanz. Dabei ähnelte er seinem Namensvetter so sehr, dass Tiadba keinen Unterschied zu seinem Vorgänger entdecken konnte, mal abgesehen von der verdreckten, zerlumpten Kleidung des zweiten Pahtun.
    »Sie sind fertig«, verkündete er. »Jugendlich frisch und mit viel mehr Informationen ausgestattet als die früheren, genau wie ich euch versprochen habe. Jetzt zieht sie schnell an, denn uns rennt die Zeit davon. Der Passweg verlagert sich derzeit, und wenn wir nicht aufpassen, stecken wir bald mitten im Schlamassel.«
    Hastig streiften alle ihre neuen Anzüge über und gingen darin probeweise auf und ab. Anfangs spürten sie kaum einen Unterschied zu den alten; Tiadba kam der neue Körperpanzer nur etwas weniger elastisch vor.
    Nachdem Pahtun die rotierenden Zweige zum Stillstand gebracht hatte, verkleinerte sich der Kasten von sich aus so, dass Pahtun ihn mühelos aufheben und in einem Tuch verstauen konnte, das er sich um die Schulter

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