Die Stadt am Ende der Zeit
Strand. Und danach hat er dabei
geholfen, ihnen die Gestalt zu geben, die du jetzt vor dir siehst.«
»Bist du ein Mensch?«
»Größtenteils ja. Mein Vater hat mich wegen der Abstammungslinie der Deva dem Geschlecht Simia zugeordnet.«
Obwohl sie nahe bei mir stand, konnte ich ihre Gesichtszüge nicht recht ausmachen, denn sie waren noch nicht deutlich ausgeprägt. In ihrem Gesicht waren viele reizende Möglichkeiten angelegt, doch es schien ihr nicht eilig damit zu sein, sich festzulegen. Und dieses Unfertige, diese Vielfalt von Möglichkeiten, schien ihr auch keineswegs peinlich zu sein.
»Wie soll ich dich dann nennen?«
»Ich habe einen Shen-Namen, aber das ist kaum besser, als hätte ich überhaupt keinen.«
»Und was bist du noch, abgesehen von deinen menschlichen Anteilen?« Ich versuchte, nicht allzu unhöflich zu klingen.
»Das weiß ich nicht genau. Polybiblios hat mir versichert, ich hätte Elemente der Kräfte in mir, die früher einmal zur Gestaltung, aber auch zur Auflösung der Schöpfung beigetragen haben. Die Shen haben diese Kräfte entdeckt, geborgen und dem Meer überantwortet, damit Vater sie dort wiederfindet und zusammenfügt. Wie er so große Ideen in diese kleine Form bringen konnte, weiß ich auch nicht. Kannst du sie sehen?«
»Im Augenblick sehe ich nichts und niemanden deutlich. «
Jetzt nahm ihr Gesicht feste Züge an, und ihr Umriss schärfte sich, doch dann wuchs sie plötzlich, schoss so sehr
in die Höhe, dass sie den Vektorenozean um ein Vielfaches meiner Körperlänge überragte.
Bezaubert von ihrer Unwissenheit, was Maße betraf, sah ich zu ihr empor. »Bestimmt kommt man sich wichtig vor, wenn man dem Ruhm der Schöpfung als Gefäß dient«, sagte ich und schirmte meine Augen gegen das strahlende Licht des Ringsterns ab.
»Meistens merke ich gar nichts davon. Aber hin und wieder verliere ich die Kontrolle über mich und versuche, bestimmte Dinge zu reparieren oder in eine gewisse Reihenfolge zu bringen – ich möchte sie korrigieren. Doch wenn ich erwachsen bin, werde ich mich vermutlich beherrschen können und eine verlässliche feste Gestalt annehmen, so wie du sie hast. Eure Gestalt ist ansprechend, jedenfalls hat mir das Polybiblios erzählt.«
»Bist du demnach eine Belohnung? Ein Geschenk, das die Meister der Shen ihrem Deva-Schüler gemacht haben?«
»Mein Vater scheint mich jedenfalls sehr zu schätzen und zu mögen.« Sie war geschrumpft und jetzt nur noch wenig größer als ich. Außerdem wirkte sie bereits gereifter als vor wenigen Augenblicken. »Ich glaube, er möchte untersuchen, zu was ich mich entwickle.«
Als sie den Zeh in das Vektorenmeer tauchte, verbreiteten sich rosarote Wellen nach außen. Mir kam es so vor, als könnte sie von sich aus alles neu beleben, was verlorengegangen war. »Würde ich hierbleiben, hätte ich nicht das, was ich brauche, denn die Shen können oder wollen es mir nicht geben. Ich würde nur zu einer weiteren nutzlosen Erinnerung werden, genau wie dieses Meer. Und dann würde das, was von dieser Welt noch übrig ist, vernichtet
werden, sobald die Shen sich dem Chaos ergeben. «
Meine melancholische Stimmung war verschwunden. Mit jedem Atemzug verbreitete dieses Wesen Frische und die Aussicht auf einen Neuanfang. Sie strahlte ein solches Potenzial von Daseinsfreude aus, wie ich es noch nie bei jemandem erlebt hatte. Mit diesem Charme war bestimmt auch eine Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Bedingungen verbunden, aber was würde sie je mit einem Instandsetzer anfangen können? Oder er mit ihr?
Sie trat nahe an mich heran und streckte mir ihre sternenhelle Hand hin. »Polybiblios hat gesagt, der Kapitän des Schiffs, das durch den gekrümmten und gefalteten Raum reist, müsse mich ausdrücklich einladen, zur Erde mitzukommen. Er hat mir auch erzählt, wie riskant diese Reise ist. Die Entscheidung liegt bei dir, Pilger.«
Ich spürte, wie die uralten Kräfte wie Feuer in meinen Augen brannten und meine Haut erwärmten. Was früher einmal nur eine aberwitzige Geschichte oder Theorie gewesen war – die Annahme, am Ende der Leuchtenden Pracht sei eine Muse verschollen, habe sich erst verdichtet und dann verteilt –, stand jetzt real und lebenssprühend vor mir, wenn auch in lichtdurchlässiger Gestalt.
»Du bist immer noch so etwas wie ein Geist«, erwiderte ich. »Vermutlich wirst du nicht viel Raum in Anspruch nehmen und nur wenige Versorgungseinheiten verzehren.«
»Bis jetzt esse ich noch gar nichts, aber
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