Die Stadt am Ende der Zeit
schlang.
»Du selbst trägst ja gar keinen Anzug«, fiel Tiadba plötzlich auf.
Er winkte ab. »Mein Schutzpanzer ist die Laube. Seht euch vor und tretet zur Seite, denn gleich wird sie sich auflösen, und ich werde mit ihr verschwinden. Wir werden uns nicht wieder begegnen, hoffe ich. Denn falls doch, haben wir alle versagt. Eure Panzer reagieren jetzt besser, verfügen über mehr Informationen
und sind auch robuster als die alten. Aber denkt daran, dass noch Schlimmeres als bisher auf euch wartet. Vor allem aber glaubt mir, dass ich real bin. Denkt nicht, ich sei niemals hier gewesen.«
Als die Laube unversehens in Flammen aufging, war wieder der gefaltete Himmel mit dem langen rötlich violetten Feuerbogen zu sehen. Tiadbas Helm legte sich eng um ihren Schädel. Gleichzeitig färbte sich das Visier so ein, dass die Szenerie ringsum orange wirkte, denn die Äste flackerten in so grellem Ultraviolett auf, dass sie sonst nicht hätte hinsehen können.
Sie befanden sich erneut im Chaos. Während sie auf dem schlingernden schwarzen Boden stehen blieben, hörte Tiadba, wie ihre Gefährten Schreckensschreie unterdrückten. Einen Moment lang meinte sie eine große schlanke Gestalt zu erkennen, die davoneilte, glaubte, weiße Gliedmaßen inmitten von funkelnden, rotierenden Ästen aufblitzen zu sehen – einen Hochgewachsenen, einen einsamen Instandsetzer.
»Achtung, Marschteilnehmer«, meldeten sich die Schutzanzüge. »Lauscht auf euren Leitstrahl!«
Jetzt hörte sie es: ein stetes melodisches Pulsieren, das stärker wurde, wenn sie sich in eine bestimmte Richtung drehte, und schwächer in allen anderen Himmelsrichtungen. Außerdem fiel ihr die neue Stimme des Panzers auf.
Es war die Stimme Pahtuns.
Denbord und Khren rückten zu ihr auf, danach auch die anderen. Gemeinsam bildeten sie einen nach außen gerichteten Bogen, so dass jeder sehen konnte, was auch die übrigen sahen. Auf diese Weise konnten sie besser abschätzen, was in ihrem Umfeld vor sich ging. Viele Augen verbanden sich zu einem einzigen Blick – ein seltsames Gefühl.
»Hat der Hochgewachsene sich in all unsere Anzüge hineingemogelt? Oder hat er sie nur eingesammelt und ist danach abgehauen?«, fragte Macht.
»Wir können nur hoffen, dass er real war«, sagte Nico, »und uns nicht ungeschützt als Festmahl für die Monster auf diesem schwarzen Zeug ausgesetzt hat.«
»Folgt eurem Leitstrahl!«, mahnten die Schutzanzüge. »Ihr müsst große Entfernungen überwinden und euch beeilen. Das ganze Gebiet hier ist unsicheres Gelände. Die Schweigenden suchen stets nach dem, was dem Typhon trotzt.«
»Also los!«, sagte Tiadba, und mit wachsendem Selbstvertrauen und erhöhter Wachsamkeit folgten sie den pulsierenden Tönen. Bald darauf formierte sich der Haufen zu einem Zug, wobei Tiadba die Vorhut und Khren die Nachhut bildete. Alle konnten jetzt sehen, was Tiadba vor sich und ringsum bemerkt hatte: ein schwaches grünes Licht, das flackerte und Speere bildete, als wolle es den Himmel durchstechen.
Plötzlich fühlten sie sich merkwürdig schwer und fielen im Marschtempo zurück. Rechter Hand schoss etwas in die Höhe, huschte jedoch so schnell vorbei, dass sie es nicht genau erkennen konnten. Es war etwas Riesiges, Breites und oben Abgeflachtes, das auf hohen, schlanken Säulenbeinen vorbeiraste und dabei den Boden vor und hinter sich aufwarf. Gleich darauf war es verschwunden.
»Es hatte ein Gesicht«, sagte Khren. »Ein menschliches Gesicht. Und es war größer als eine ganze Weide …«
»Beeilt euch«, mahnte der Schutzpanzer. »Gleich verkürzen sich die Abstände. Und das Licht wird auf bizarre Weise einfallen, so dass es so aussehen wird, als gingen Dinge in Flammen auf. Aber das Wichtigste ist, dass ihr dem Leitstrahl folgt.«
Zur Linken sah Tiadba einen messerscharfen grauen Lichtstrahl hin und her schwenken; es war der Suchscheinwerfer des Zeugen, grell wie nie zuvor.
»Wir befinden uns unmittelbar darunter«, sagte Nico. »Wie sind wir bloß so nahe an den Strahl geraten? War er nicht auf der anderen Seite?«
»Am besten, wir bauen unseren Generator auf und warten, bis er verschwindet«, schlug Macht vor.
»Nein!«, widersprach der Panzer energisch. »Ihr werdet verfolgt. Hier gibt es keinen Schutzraum. Ihr könnt nur flüchten. «
77
Das grüne Lagerhaus
Jack kniete sich neben Ginnys Bett und legte eine Hand auf ihren Arm. Sie schlief schon seit Stunden, war nicht einmal aufgewacht, als das bleierne Licht, das jetzt die
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