Die Stadt am Ende der Zeit
Durchmesser mehrere Hundert Meter betragen mochte. Sie schwebte dicht über dem Boden, knapp oberhalb seines Kopfes. Doch als er sie mit dem Handschuh berühren wollte, stieß sie ihn zurück. Je länger er sie betrachtete, desto deutlicher konnte er ihre Oberfläche erkennen. Irgendwann wurde ihm klar, dass er einen geografischen Ort vor sich sah, einen ganzen, hoch entwickelten Planeten mit Städten, Straßen und Dingen, die er nicht identifizieren konnte, nicht einmal, wenn er auf seine Traumerlebnisse zurückgriff.
Während er sich langsam umdrehte, fragte er sich, wieso die Kugeln und aufgeschichteten Bruchstücke hier gelandet waren.
Überall sah er diese aus jedem Zusammenhang gerissenen, ausrangierten Objekte. Immer mehr kam er zu der Überzeugung, dass das Chaos im Grunde nichts anderes als ein gigantischer Müllhaufen war.
Er wagte sich zwar weiter in dieses Durcheinander hinein, behielt dabei aber ständig eine Rückzugsmöglichkeit im Auge. Solange man die Dinge noch ausmachen konnte und regelmäßig nach ihnen sah, neigten sie nicht so schnell zum Verschwinden, wie er inzwischen wusste.
Bald darauf stieß er auf Polybiblios, der auf ihn wartete. Er saß auf einer niedrigen Mauer, die mehrere hohe Schutthaufen voneinander abtrennte. »Schön, dich zu sehen«, begrüßte er Jebrassy. »Ich dachte schon, ich hätte meine Gefährten verloren.«
»Wo ist der Hüter?«
»Irgendwo da hinten. Dieses Durcheinander ist wirklich eine Schande. Eine Wüste der gescheiterten Projekte. Denk nur mal an all diese Welten, die hier wie Schrumpfköpfe in einer angestaubten Kiste lagern. Aber ich habe etwas oder jemanden gefunden, der interessanter ist.«
Er gab Jebrassy ein Zeichen, ihm zu folgen, der dies mit einigen Vorbehalten tat. Schließlich hatte er das Epitom eine Weile aus den Augen verloren. War in der Zwischenzeit womöglich ein Doppelgänger an dessen Stelle getreten?
»Ich habe diesen Raum ziemlich lange erforscht«, erklärte das Epitom. »Habe ihn kartiert und später alle Veränderungen in die Karte eingetragen. Interessanterweise treten hier drinnen nicht so viele Veränderungen auf wie draußen. Irgendetwas möchte offenbar den Überblick über all das behalten, was hier zusammengetragen wurde. Und dazu gehört auch … das hier.«
Sie gelangten zu einer Glaswand. Nahe an der Scheibe war im Innenraum eine Gestalt auszumachen, die in groben Zügen Jebrassy ähnelte, nur war sie größer und kräftiger. Dieser Jebrassy trug jedoch keinen Schutzanzug, sondern fremdartige Kleidungsstücke, wie man sie in den Ebenen nicht kannte. Im Hintergrund waren weitere Gestalten zu erkennen; einige erinnerten an die erste, manche sahen völlig anders aus, doch alle wirkten so, als wären sie in Momenten der Bestürzung, des Zorns oder der Verblüffung erstarrt. Jebrassy ging von einer Figur zur nächsten und legte den Handschuh ans Glas.
»Ein Schicksalsmorast, glaube ich«, sagte Polybiblios.
»Was ist denn das?«
»Ist nicht so leicht zu verstehen, aber vielleicht bist du aufgrund deiner Ausbildung ausreichend darauf vorbereitet. Verrate mir, was deine Instinkte dir sagen.«
»All diese Gestalten ähneln meinem Besucher.« Jebrassy dachte so angestrengt nach und hatte dabei so sonderbare Empfindungen, dass ihm der Kopf schwirrte. »Aber es sind zu viele.«
»Eindeutig uralte Gestalten«, bemerkte Polybiblios. »Hätten wir Zugang zu ihnen gehabt, als wir die Nachzucht der alten Art entworfen haben, hätten wir möglicherweise bessere Arbeit geleistet. Allerdings weichen diese hier in wesentlichen Aspekten von eurer Art ab.«
Jebrassy konnte kein Anzeichen von Leben in den eingeschlossenen Gestalten entdecken. »Also stammen sie aus der Vergangenheit?«
»Eher aus verschiedenen Vergangenheiten. Schwieriger ist es zu begreifen, wieso sie hier gelandet sind. Ich frage mich, ob mein vollständiges Eidolon-Ich dieses Rätsel lösen könnte. Jedenfalls
ist dieser hier … Geh näher heran und strecke die Hand hoch. Tu so, als würdest du ihn durch das Glas berühren. «
Jebrassy trat an den Körper heran, der am nächsten vor der Scheibe stand, und rieb mit der Hand über das Glas. Sofort sprangen schmale bläuliche Lichtbogen, erst Hunderte, dann Tausende, zwischen den ausgestreckten Fingern der Gestalt und seinen eigenen auf und drangen ihm durch den Handschuh. Er spürte ein Prickeln, merkte, wie ihm ein leichter Schlag durch den Arm fuhr.
»All diese Gestalten sind Träumer«, erklärte Polybiblios.
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